Isau, Ralf - Neschan 03
Morgen früh wird es dir besser gehen.«
Als die Erschöpfung Yonathan übermannte, hörte er noch Gimbar fragen: »Wird die Zeit reichen?«
Yehsirs Antwort lautete: »Es bleibt genug Zeit, um fürs Erste unsere Spuren zu verwischen. Aber ob es reichen wird das erste Auge Bar-Hazzats zu finden und zu zerstören…«
Yonathan hatte schon lange keinen Hahn mehr krähen hören. Deshalb fuhr er erschrocken hoch.
»Es ist nichts, Yonathan«, beruhigte ihn Gimbar sogleich. »Nur das aufgeblasene Federvieh, das seinen Hennen imponieren möchte.«
Unwillkürlich musste Yonathan an die beiden Squak-Soldaten vom vergangenen Abend denken. Noch nie zuvor war er diesen vogelähnlichen Wesen so nahe gewesen. Er musste sie einfach anstarren, während sie sich um den am Boden liegenden schwarzen Priester kümmerten, dessen Geist nun durch ihn ausgelöscht war. Das Koach der vollkommenen Erinnerung Haschevets sorgte dafür, dass er die Szene in allen Einzelheiten vor sich sah. Keine seiner Sinneswahrnehmungen hatte der Schlaf überdeckt, nichts war vergessen – sosehr er sich das an diesem Morgen auch gewünscht hätte.
»Haben sich die Squaks noch einmal sehen lassen?«, fragte er unvermittelt.
»Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete Gimbar. »Auch kein Schwarzrock mehr. Allerdings kam der Wirt gestern noch einmal herauf. Er bat uns, möglichst bald aufzubrechen.«
Yehsir trat neben Yonathans Bett, lächelte – zufrieden darüber, dass sein Gefährte wieder ansprechbar war – und fügte hinzu: »Kehmar meinte, es sei zwar unwahrscheinlich, dass noch weitere temánahische Priester hier aufkreuzen, aber die königlichen Grenztruppen seien in letzter Zeit sehr misstrauisch geworden und steckten ihre Schnäbel in Angelegenheiten, die sie nichts angingen. Es war ihm sichtlich unangenehm, aber er wünschte, dass wir so schnell wie möglich abreisen.«
»Schon gut«, sagte Yonathan und fasste sich an den Kopf.
»Glaubst du, du kannst reiten?«
»Es wird schon gehen. In meinem Schädel arbeitet zwar ein Hammerwerk, aber ich werde versuchen es einfach zu ignorieren.«
Das Frühstück wurde auf dem Zimmer eingenommen – frisch gebackenes Brot, kalter Truthahn, Käse und klares Quellwasser –, dann geleitete Kehmar seine Gäste in eine Nebenstraße, wo sich der Stall seines Bruders befand.
Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, wandte sich Yehsir eigenartig schuldbewusst an Yonathan: »Ich muss dir jetzt noch etwas sagen.«
Yonathan runzelte die Stirn. Yehsirs Verhalten war mehr als ungewöhnlich.
»Für einen Steppenreiter habe ich eigentlich eine Todsünde begangen.«
Yonathans Schritte kamen ins Stocken. »Jetzt sag schon, was los ist.«
Yehsir blickte wortlos zu Boden, bis Gimbar schließlich das Schweigen brach.
»Warum erzählst du ihm nicht, dass du sein störrisches Wüstenschiff angepinselt hast?«
»Was…?«
Yehsir hob hilflos die Arme. »Eigentlich war ich es gar nicht selbst…«
»›Wie beginne ich eine Ausrede? – Lektion eins‹«, spöttelte Gimbar. »Aber er hat Recht. Kumi hat zwei von Kehmars Knechten gebissen und einem ins Auge gespuckt, und erst als dieser Fleischklops ihm eins auf die Rübe gegeben hat, ließ er sich zu der Tarnaktion überreden. Aber mach dir wegen Kumi keine Sorgen; der ist in Ordnung.«
Langsam dämmerte es Yonathan. »Ihr habt Kumi eingefärbt, weil der schwarze Priester nach einem weißen Lemak suchte?«
Yehsir nickte schuldbewusst.
»Werden sie darauf reinfallen?«
»Kehmar hat Squak-Farbe aufgetrieben«, wusste Gimbar zu berichten. »Sie soll wasserfest sein, für mehrere Wochen.«
Yonathan zeigte ein erstes Lächeln. »Diese bunten Vögel scheinen etwas von Farben zu verstehen.«
»Wem sagst du das?«, klagte Gimbar theatralisch. »Für einen Tuchhändler geradezu geschäftsschädigend!«
»Dann muss ich mich wohl damit abfinden, ein ganz normales Lemak zu reiten – obwohl ich Leas’ brutale Methoden nicht billige.«
Inzwischen hatte sich Kehmar, der ein paar Schritte voraus war, zu den Freunden umgewandt. »Wenn hier jemand brutal war, dann dein verrücktes Lemak. Einer meiner Männer wird mindestens eine Woche lang seine Hand nicht mehr gebrauchen können.« Etwas versöhnlicher fügte er hinzu: »Im Übrigen geht es deinem Kumi wirklich gut; er blickt zwar etwas benommen aus seinen verschiedenfarbigen Augen, aber sonst sieht er jetzt aus wie jedes andere Lemak.«
So war es tatsächlich. Kumi wirkte noch ein wenig eingeschüchtert und Yonathan musste den
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