Isau, Ralf - Neschan 03
menschlichen Ellenbogen saß. Die Ellenbogenhände verfügten über vier, die anderen nur über zwei Finger. Bekleidet waren die Squaks ausnahmslos mit schreiend bunten Gewändern, die – für ihre eher rundlichen Körperformen – einen erstaunlich eleganten Schnitt aufwiesen.
»Die Wohntürme der Squaks entsprechen den Nist- und Schlafbäumen anderer Vögel«, erklärte Gimbar, dem Yonathans Faszination für diese seltsamen Wesen nicht entgangen war. »Außerdem sind die Squaks absolut schwindelfrei. Sie lieben es, sich draußen ins Freie zu setzen und ihre Umgebung zu beobachten.«
Gimbar schüttelte sich ein wenig und Yonathan musste an die Höhenangst denken, die seinen Freund geplagt hatte, als sie vor drei Jahren mit einem Heißluftballon aus dem Kaiserpalast von Cedanor geflohen waren.
»Ich bin sicher, die Herberge, die Yehsir für uns ausgesucht hat, besitzt nicht mehr als zwei Stockwerke – höchstens drei«, redete er tröstend auf den Freund ein.
Gimbar verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Ich wusste, dass du kein Mitleid mit mir haben würdest!«
Der Paradiesvogel war, sah man von den Wohntürmen der Squaks ab, eines der höchsten Gebäude von Singat; es besaß vier Stockwerke. Mehrere Nebengebäude bildeten zusammen mit dem mächtigen Haupthaus einen großen Innenhof, in den man durch ein geräumiges Tor gelangte. Über dem Eingang hing eine Steintafel mit der Einladung: »Tritt ein! In diesem Haus gibt es keine Fremden, sondern nur Freunde, die wir noch nicht kennen.«
Der gesamte Gebäudekomplex bestand aus runden Fluss-Steinen und wirkte mit seinen natürlichen Grau- und Brauntönen ausgesprochen wohl tuend auf die menschlichen Gäste – nach der eher aufdringlichen Farbenfreude der Squak-Türme.
Etwas seltsam mutete allerdings der glatzköpfige Hüne an, der den Eingang zum Schankraum versperrte.
»Was ist Euer Begehr?«, fragte er Yehsir, der das Gebäude mit einem freundlichen Gruß betreten wollte. Die Frage des schrankförmigen Türstehers klang zwar auf eine gewisse Weise respektvoll, aber nichts an seiner Haltung ließ erkennen, dass er den Weg ins Innere der Schankstube freigeben würde.
»Was glaubst du, was wir in einem Gasthaus wollen?«, gab der Karawanenführer mit kühler Stimme zurück.
Yonathan staunte einmal mehr über Yehsirs natürliche Autorität, die keiner lauten Worte bedurfte.
Offenbar war auch der Türwächter davon beeindruckt. Leicht verunsichert entgegnete er: »Essen und trinken wollt Ihr wohl, vielleicht auch schlafen.« Eine Schlussfolgerung, die selbst ihm jetzt etwas banal vorkam, denn er fügte noch hinzu: »Aber ich kenne Euch nicht.«
Yehsir blieb immer noch bewundernswert ruhig: »In Gasthäusern kommt es gelegentlich vor, dass Fremde einkehren.«
»Hier nicht. Es sei denn, Ihr seid angemeldet«, erwiderte der Türsteher beharrlich.
»Der könnte sich sowieso keine zwei Namen merken«, flüsterte Gimbar Yonathan zu.
In diesem Moment öffnete sich die Tür hinter dem Hünen und aus der Schankstube drang eine energische Stimme: »Was gibt’s, Leas? Macht wieder jemand Scherereien?«
»Wo ist deine Gastfreundschaft geblieben, Kehmar?«, rief Yehsir, bevor dem Riesen eine Antwort einfallen konnte. »Habe ich dir nicht immer gesagt, dass Nomaden, die sesshaft werden, bald jeden Sinn für die guten Sitten verlieren?«
»Yehsir?«, fragte die Stimme hinter dem Muskelberg. »Yehsir! Du alter Tagedieb, du Schrecken aller Karawanen.«
»Kehmar und ich kennen uns schon sehr lange«, wandte sich Yehsir an seine beiden Gefährten. »Außerdem übertreibt er meist ein wenig.«
Inzwischen war es dem Wirt des Paradiesvogels gelungen, Leas, den Türwächter, zur Seite zu schieben. Kehmar selbst erwies sich als ein eher kleiner Mann mit rundlichen Formen, dünnem Haupthaar und rosigen Wangen.
Yehsir stellte Yonathan und Gimbar als zwei gute Freunde vor. Dann ließ er eine unzweideutige Bemerkung fallen, die sich auf die Tafel über dem Eingang bezog.
»Die Zeiten sind schwieriger geworden«, entschuldigte sich der Wirt, während er seine Gäste in den leeren Schankraum führte. »Setzt Euch, am besten dort hinten in die Ecke. Da seid Ihr ungestört, wenn später die Abendkundschaft kommt.«
Yonathan erkundigte sich, wie die Bemerkung des Wirts gemeint sei, und Kehmar erzählte, dass in letzter Zeit immer mehr Gäste ihre Zeche nicht zahlen wollten. Einige von ihnen hätten sich sogar vorher noch sinnlos betrunken und dann viel Mühe darauf
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