Isau, Ralf - Neschan 03
grünes und ein blaues Auge hat?«
»Ich wünschte, ich hätte es«, antwortete das Vogelwesen mit kratziger Stimme.
Der Priester ließ ihn stehen und kam näher.
Ihm voran schritten zwei Squak-Soldaten durch die Menge und sprachen halb beruhigend, halb befehlend auf die Leute ein: »Nur eine kurze Befragung.« – »Wir suchen jemanden.« – »Bleibt ruhig.« – »Gleich könnt ihr die Stadt betreten« und dergleichen.
Die Menge wurde immer ungeduldiger, doch plötzlich schwang das Stadttor auf. Beinahe geräuschlos öffneten sich die Flügel und augenblicklich besetzten den Durchgangsbereich weitere Squak-Soldaten, die mit ihren Lanzen die losstürmenden Reisenden in geordnete Bahnen lenkten.
»Heh!«, schallte es an Yonathans Seite. Er wandte sich erschrocken dem Rufer zu.
»Heh, Ihr da!« Diesmal rief Gimbar schon fordernder.
Einer der gefiederten Soldaten, offenbar ein Hauptmann, wurde auf Yonathans Begleiter aufmerksam. »Wartet, bis Ihr dran seid«, schrie er zurück.
»Das werde ich nicht«, konterte Gimbar lautstark.
»Euch wird nichts anderes übrig bleiben.«
»Ich bin gespannt, wie Kirrikch reagieren wird, wenn ich ihm davon berichte«, lachte Gimbar schadenfroh.
Sowohl Yonathan wie auch der Squak-Hauptmann schauten ihn verblüfft an.
»Wie ist Euer Name, Soldat?«
Der Squak warf empört den Kopf zurück, doch in seinen Augen spiegelte sich eine erste Unsicherheit. »Leutnant Tschilp«, antwortete er, mit unüberhörbarer Betonung des militärischen Rangs.
»Eigentlich sollte der König noch vor dem Frühstück die Lieferung erhalten«, begann Gimbar im Plauderton zu erzählen. »Aber was macht das schon? Jetzt wird er eben ein wenig warten müssen, vielleicht ungeduldig, aber er wird das Ganze sicher mit majestätischer Gelassenheit hinnehmen – mit der gleichen Gelassenheit, mit der er seinen neuen Latrinenwart Tschilp ernennen wird.«
Die Pupillen des Squaks verengten sich zu schmalen Schlitzen – andere Möglichkeiten Misstrauen und Schrecken auszudrücken gab es für die Squak-Mimik nicht. »Ihr sagtet, Ihr hättet eine Lieferung direkt für den König?«
Gimbar blickte hochmütig zur Seite und schwieg, sodass Yonathan seinen Teil zum Spiel beitragen konnte: »Mein Herr wiederholt sich nicht gern.«
Der schwarze Priester war gerade im Begriff sich von der benachbarten Reisegruppe zu lösen, als Tschilp nachgab: »Also gut. Tirrip, Pschiep und Kukch«, rief er hinter sich, »kommt her und geleitet diese beiden Menschen in den Palast. Behandelt sie gut, denn sie sind persönliche Gäste des Königs, wie sie sagen.«
»Woher hast du gewusst, dass der König schon bei Sonnenaufgang sein Frühstück einnimmt?«, flüsterte Yonathan Gimbar zu, während sie unter dem Begleitschutz ihrer Vogelsoldaten durch die Gassen Quiriths eilten.
»Im Geschäftsleben entscheidet Wissen und Nichtwissen über Gewinn und Verlust – ich ziehe es vor zu den Gewinnern zu gehören.«
»Du klingst schon fast wie einer dieser schwarzen Priester.«
»Tarnung!« Gimbar zwinkerte Yonathan zu. »Alles nur Tarnung.«
»Und was tust du, wenn dich der König wirklich empfängt?«
»Na, was schon? Ihm unsere Waren anbieten.«
»Das karminrote Tuch!«
»Die Squaks fliegen auf Rot. Hatte ich dir nicht gesagt, dass uns die Seide noch von Nutzen sein würde?«
Obwohl die Straßen schon erstaunlich belebt waren, kamen sie gut voran. Genau genommen gab es in Quirith gar keine Straßen und Plätze im herkömmlichen Sinne, schon eher konnte man von Schneisen und Lichtungen sprechen wie in einem großen Wald. An vielen Stellen standen die leuchtend bunten Wohntürme dicht beieinander; Balkone, Brücken und Erker ließen kaum einen Sonnenstrahl auf den Boden hinabdringen. Je näher man dem Palast kam, umso häufiger wurden die mit viel Grün bepflanzten Lichtungen und umso prächtiger die angrenzenden Wohntürme. Schließlich, auf der letzten halben Meile, bildeten die skurrilen Wohnbauten tatsächlich so etwas wie eine breite Straße, die in gerader Linie auf den Königspalast zuführte.
»Sieht aus wie Spalierobst«, bemerkte Gimbar beim Betrachten der in Reih und Glied stehenden Türme.
Yonathan brummte: »Das Ganze gefällt mir nicht. Sieh zu, dass du uns so schnell wie möglich wieder hier rausbringst.«
»Keine Angst, du wirst jetzt deine erste Lektion in Zeit sparender Verhandlungsführung bekommen. Hör einfach gut zu.«
Sie warteten gute drei Stunden vor der Tür des königlichen Audienzsaals. Das gab
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