Isau, Ralf - Neschan 03
wenden.
Yehsir seufzte. »Diese Ewigkeit dauert höchstens zwei Stunden. In der senkrechten Mittagssonne verwandeln sich die Sternchen in einen milchigen Dunst. Lasst uns lieber weiterreiten. Dann bleibt euch die Enttäuschung erspart und dieser märchenhafte Anblick wird euch für immer in Erinnerung bleiben.«
Yonathan nickte und schnalzte mit der Zunge. Kumi gehorchte ausnahmsweise sofort.
Sobald sie die Westliche Handelsroute erreicht hatten, kamen sie wesentlich schneller voran. Hier, etwa eine Tagesreise vor der Hauptstadt des Squak-Königreiches, war die Straße mit flachen Steinen gepflastert – ein Zurschaustellen des Reichtums der Region.
Die Squak-Bauern auf den Feldern schenkten ihnen kaum Beachtung; einige Küken, die ihren Eltern bei der Ernte zur Hand gingen, winkten mit allen vier Händen herüber. Obwohl diese Vogelwesen sicher zur einfacheren Bevölkerung gehörten, waren sie doch alle sehr bunt gekleidet. Manche von ihnen arbeiteten mit freiem Oberkörper; das spärliche graubraune Federkleid wirkte etwas unansehnlich, vielleicht eine Erklärung für den Hang dieser Wesen zu gewagten Farbkombinationen.
Gegen Abend holten die drei eine Karawane ein, die aus mindestens sechzig Packtieren und etwa zwei Dutzend Menschen bestand. Weder Yonathan noch Gimbar wunderten sich, dass der Karawanenführer Yehsir sogleich erkannte und ihn wie einen alten Freund begrüßte. Er bot den drei Gefährten an, im Schutze seiner Karawane nach Quirith zu reisen.
Nach einem üppigen Abendmahl als Gäste des Karawanenführers hatte man ihnen großzügig ein Zelt für die Nacht überlassen. Hier saßen sie nun beisammen und konnten ungestört reden.
»Was hältst du von dem Vorschlag die Karawane zu begleiten?«, fragte Yonathan Yehsir.
»Das ist sicher vernünftig«, meinte der. »Jetzt, so kurz vor Quirith, müssen wir damit rechnen wieder den temánahischen Priestern zu begegnen. Im Schutze der Karawane werden wir weniger auffallen.« Yehsir blieb trotzdem nachdenklich.
»Beunruhigt dich etwas?«, fragte Yonathan.
Der weiße Turban nickte. »Der Anführer erzählte, dass sie mehrmals ganzen Rudeln dieser schwarzen Gesellen begegnet sind.«
»Mir scheint, das ist nicht alles, was dir der Karawanenführer erzählt hat.«
»Nein.« Yehsir zögerte. »Sie suchen noch immer nach dem jungen Mann auf dem Lemak.«
»Aber Kumi sieht jetzt doch aus wie alle seine Artgenossen?«
»Nicht ganz, Yonathan. Lemaks haben normalerweise zwei braune Augen und nicht ein grünes und ein blaues.«
Yonathan schluckte. »Haben sie auch danach gefragt?«
Yehsir nickte.
»Ich kann mir schon denken, was dir durch den Kopf geht.«
»Es schmerzt mich dir den Vorschlag machen zu müssen, Yonathan – erst habe ich dein prächtiges Reittier umfärben lassen und jetzt… jetzt muss ich dich sogar bitten dich von ihm zu trennen.«
Yehsirs Worte klangen für Yonathan durchaus vernünftig. Eigentlich hatte er seit dem Vorfall in der Grenzsiedlung Singat mit etwas Ähnlichem gerechnet. »Ich möchte Kumi nicht irgendjemandem überlassen«, sagte er leise.
»Das brauchst du auch nicht. Ich habe mir alles genau überlegt. Ob ich euch beide bis Quirith begleite oder euch schon einen Tag früher verlasse, das bleibt sich gleich. Im Gegenteil, sollte man nach deinem Eingreifen in Singat nach uns suchen, so wird man nach drei Männern auf zwei Pferden und einem Lemak suchen. Ich habe dem Karawanenführer einen temperamentvollen grauen Hengst für dich abgeschwatzt. So wirst du, zusammen mit Gimbar, wesentlich sicherer reisen.«
Yonathan stimmte schließlich zu, wenn auch schweren Herzens.
Am nächsten Morgen benutzte er noch einmal Din-Mikkiths Keim, um Kumi gründlich einzuschärfen, sich gegenüber Yehsir anständig zu benehmen. Dann musste er von zwei treuen Freunden Abschied nehmen.
Noch ehe alle Zelte abgebrochen waren und die Karawane sich in Bewegung setzen konnte, verschwanden die Punkte Yehsirs und Kumis am westlichen Horizont.
Als die Sonne am Abend vom Himmel sank, überzog sie den ganzen Horizont mit roten Flammen; sogar im Osten hob ein tief orangefarbener Schein die Turmsilhouette der Squak-Hauptstadt hervor. Es war bereits zu spät, um die Stadttore zu erreichen, bevor sie wie jeden Abend geschlossen wurden.
Das winzige Grenzörtchen Singat war nur ein schwacher Abglanz dieser Stadt gewesen. Quirith schien nur aus Türmen zu bestehen, aus zahllosen schlanken, breiten, hohen und niedrigen Felsnadeln, die sich dem
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