Isau, Ralf - Neschan 03
etlichen ereignislosen Tagen.
Gimbar schreckte hoch. »Was ist denn, geht’s dir nicht gut?«
»Wenn ich das wüsste… Merkst du nicht, was hier los ist?«
»Ich kann dir nicht ganz folgen. Aber vielleicht liegt es ja daran, dass du mich gerade aufgeweckt hast.«
»Diese Lethargie – das kann nicht so weitergehen!«
»Ich verstehe gar nicht, was du willst. Möchtest du etwa aussteigen und Furgons Prinzessin bis nach Mezillah schieben? Da mache ich nicht mit…«
»Schon gut, schon gut.« Yonathan holte tief Luft. »Beantworte mir bitte eine Frage, ohne lange nachzudenken.«
»Nur zu. Ich höre.«
»Was würdest du jetzt am liebsten tun?«
»Nichts«, antwortete Gimbar auffallend schnell. Als er Yonathans ernsten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er verträumt hinzu: »Ich möchte mich einfach immer so weitertreiben lassen, bis nach Mezillah und von da nach Kandamar und dann in das große Meer des Ostens hinein…«
»Das habe ich mir gedacht«, trumpfte Yonathan auf.
»Ich verstehe immer noch nicht, was du willst«, beschwerte sich Gimbar. Auf dem Fluss schnappte ein Krokodil nach einem fetten Fisch. »Wir haben uns auf dieser Reise schließlich schon genug geplagt. Gönn dir ein wenig Ruhe, Yonathan. Du hast es dir verdient.«
»Noch eine Frage, Gimbar«, bohrte Yonathan nach. »Hast du früher jemals den Wunsch verspürt einfach nichts zu tun, dich nur treiben zu lassen?«
Gimbar zwang sich zum Nachdenken. »Nein«, gab er schließlich widerwillig zu. »Als Pirat war das Leben nicht leicht, man hatte immer eine Aufgabe. Später, als ich mit dir auf dem Weg nach Gan Mischpad war, wurde es eher noch schlimmer. Und danach? Erst kam die Heirat mit Schelima, die Arbeit im Kontor Baltans, und dann sind da noch die Kinder. Wann hätte ich mich da dem Müßiggang hingeben sollen?«
»Und jetzt?« Yonathans Stimme klang eigentümlich scharf. »Gibt es Baltan nicht mehr? Keine Schelima, keine Kinder? Was ist mit mir, mit unserem Auftrag?«
Die letzten beiden Worte ließen Gimbar aufschrecken. Der wohlige Dunst, der sich um seinen Geist gelegt hatte, der ihn das äußere Geschehen nur noch gedämpft hatte wahrnehmen lassen, war wie durch einen plötzlichen Windstoss vertrieben. Entsetzt blickte er in Yonathans Gesicht. »Meinst du etwa…?«
Yonathan nickte langsam. »Die Augen Bar-Hazzats. Keiner ist vor ihrem unheilvollen Einfluss sicher. Ich habe das alles schon einmal durchgemacht, damals, als ich mich im Baumhaus Din-Mikkiths von den Folgen des Grünen Nebels erholte.«
»Du meinst, bei dem Behmisch, im Verborgenen Land?«
»Ja. Mir ging es beinahe so wie dir jetzt, Gimbar. Ich hatte meinen Auftrag fast vergessen, als…« Yonathan biss sich fast auf die Zunge. Er konnte natürlich schlecht erzählen, dass sein irdischer Traumbruder ihn besucht und aus seiner Lethargie befreit hatte. Auch sollte er wohl besser seine Vermutung noch nicht preisgeben, dass er schon damals einem der roten Augen Bar-Hazzats gefährlich nahe gekommen war. So nahe, dass…
»Jedenfalls wurde mir bewusst«, fuhr er unverfänglich fort, »in welcher Gefahr ich schwebte. Und genauso ist es heute: Bar-Hazzat möchte sich in unseren Geist einschleichen, uns betäuben. Erinnerst du dich an deine Worte? ›Gönn dir ein wenig Ruhe. Du hast es verdient. Ich möchte mich einfach immer so treiben lassen…‹«
»Du hast Recht.« Gimbar fasste sich an die Stirn und starrte vor sich hin. »Es passt genau zu den anderen Beobachtungen: Ich hätte beinahe wegen meiner Bequemlichkeit alle vergessen, die mir lieb und teuer sind. Und was fast noch schlimmer ist, ich habe überhaupt nicht mehr daran gedacht, warum wir überhaupt zu dieser Reise aufgebrochen sind.«
»Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Es gibt keine wohl tuende Leere des Geistes. Wenn du ein solches Vakuum nicht mit gutem Denken füllst, dann wird sich dort unweigerlich Schlechtigkeit und Bosheit einnisten. Von nun an müssen wir unsere Gedanken schützen, Gimbar.«
»Und wie sollen wir das tun?«
»Ganz einfach.« Yonathan grinste breit. »Arbeiten!«
Die Prinzessin des Quon erreichte die Ebene von Mezillah nach sechzehn Tagen. Als der Ausguck den Namen der Stadt wie einen lang gezogenen Schlachtruf erschallen ließ, war Yonathan gerade mit dem Spleißen von Tauwerk beschäftigt. Er beendete seine Arbeit mit wenigen geschickten Handgriffen. Es war einige Überzeugungskraft nötig gewesen, um Furgon dazu zu bringen, seinen Passagieren Aufgaben der Besatzung
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