Isau, Ralf - Neschan 03
Wachsamkeit der bleichhäutigen Männer auf die Probe zu stellen.
Doch was sollte er tun? Hinter ihm befand sich eine undurchdringliche Mauer aus Menschen und Tieren, Körben und Säcken, Käfigen und Karren. Er blickte sich hastig um. Da sah er ein Haus zu seiner Rechten; es war ihm bisher nicht aufgefallen. Er signalisierte seinem Freund mit einer Kopfbewegung, wohin er auszuweichen gedachte. Gimbar hatte verstanden und drängte sich mit dem Fuchs, das Packpferd im Schlepptau, in dieselbe Richtung.
Die Ostleute machten nur unter derben Verwünschungen Platz. Yonathan und Gimbar achteten nicht darauf. Während der Zug der schwarzen Priester schweigend näher rückte, drifteten sie langsam nach rechts ab.
Endlich erreichten sie das Geviert aus braunen Lehmmauern, banden ihre Pferde an Eisenringen fest und traten ein. Wie schon das Äußere des Gebäudes hatte vermuten lassen, handelte es sich um ein Gasthaus. Als sich nun Yonathans und Gimbars Augen an das Halbdunkel gewöhnten, drehte sich ihnen fast der Magen um: Sie waren in eine Spelunke übelster Art geraten.
In dem Schankraum herrschte ein beinahe ebenso großes Gedränge wie auf der Straße. Eine alles einhüllende Geruchwolke aus schalem Bier, Schweiß, Erbrochenem und nicht mehr ganz frischen Speisen raubte ihnen fast die Sinne. Wo die vielen Füße für einen Moment den Blick auf den Boden freigaben, sah man vergammelte Speisereste, aus denen einige schwarzbraune, halbverfaulte Binsen aufragten.
»Ein wirklich nettes Örtchen!«, rief Gimbar Yonathan zu.
»Müsste dir doch eigentlich gefallen«, schrie dieser zurück. »Erinnerst du dich nicht mehr an das Loch, in das du Yomi und mich in Meresin geführt hast?«
Gimbar lächelte säuerlich. »Das war vor einer Ewigkeit. Ich bin jetzt ein gesetzter Ehemann und Familienvater.«
»Also gut, aber lass uns wieder verschwinden, sobald die Priester draußen vorbei sind.«
»Ich besorg uns inzwischen einen Schluck, nur, damit wir nicht auffallen.« Gimbar verschwand zwischen den Ostleuten.
Yonathan schaute sich um. Er erinnerte sich an sein Leben auf der Erde und daran, wie ihn sein Großvater einmal in Edinburgh in einen belebten Pub geschmuggelt hatte. Er kannte auch den Trubel des Großen Markttages von Kitvar. Aber all das war nichts gegen den grölenden Haufen aus Nomaden, Händlern und Tagedieben in diesem Schankraum.
Aus einer Ecke des Raumes drangen Stimmen, die sich sogar gegenüber der herrschenden Geräuschkulisse noch durchsetzen konnten. Gelegentlich schwappten Wogen aus Freuden- und Enttäuschungsrufen herüber.
Yonathan näherte sich vorsichtig und spähte durch eine Lücke zwischen zwei Nomadenrücken. Er sah einen Ostmann an einem Tisch sitzen: auffallend groß, behaart, bärtig und ungepflegt; auf seiner Wange prangte ein blutverkrusteter Striemen. Ihm zur Rechten befand sich ein Mädchen, kaum zwanzig Jahre alt, mit schwarzem, struppigem Haar und dem nervösen Blick einer in die Enge getriebenen Raubkatze.
»Wenn du mir deine Sklavin nicht verkaufen möchtest, dann könntest du sie mir wenigstens leihen«, meinte gerade ein anderer Ostmann, der dem behaarten Hünen gegenüber Platz genommen hatte und Yonathan den Rücken zuwandte. Zur Belustigung der Umstehenden fügte er noch hinzu: »Ich wüsste schon, was ich mit ihr anfangen würde.«
»Da habe ich keine Zweifel, Seng«, brüllte der erste, schüttete den Inhalt eines großen Tonkruges in sich hinein, rülpste laut und sagte: »Ich habe Yamina beim Spiel gewonnen, und wenn ich sie einmal hergebe, dann dem, der mich im Bohnenspiel besiegen kann.«
»Mach doch, was du willst!« Der andere spuckte aus, erhob sich schwerfällig vom Tisch und wankte an Yonathan vorbei in den Schankraum.
»Noch jemand, der etwas gewinnen möchte?«, rief der Grobschlächtige in die Menge. Vor ihm auf der Tischplatte standen drei umgestülpte Lederbecher in einer Reihe.
Es dauerte nicht lange, und ein schmächtiger Ostmann, dem die aus Pferdeleder gefertigte Tunika deutlich eine Nummer zu groß war, setzte sich an den Tisch des Spielers.
»Willst wohl auch um meine Yamina spielen, was?«
»Mir genügt ein Beutel voller Goldmünzen«, sagte der Kleine.
»Was suchst du denn hier?« Die Worte wurden unmittelbar in Yonathans Ohr gesprochen, der Gimbars Kommen gar nicht bemerkt hatte.
»Dieser schmierige Kerl benutzt das Mädchen als Köder für seine Kundschaft. Es ist seine Sklavin!« Yonathans Stimme war voller Empörung.
»Warum überrascht dich
Weitere Kostenlose Bücher