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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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errichtete Katen, einen Granitpalazzo, Lehmhäuser, Pfahlbauten mit Grasdächern, ein strahlend weißes Palais, Eskimo-Iglus, Indianerzelte, Kirchen, Beduinenzelte, Tempel, Armeezelte, Schreine und Jurten.
    Vermutlich gab es in diesem Zoo unterschiedlichster Gebäude noch eine Reihe anderer Arten. Aber als Karl plötzlich an einem Baum in der Nähe einen Wegweiser entdeckte, begriff er, dass es einmal mehr Zeit zum Abschiednehmen war. Das Schild bestand aus verwittertem Holz und hatte die Form eines Pfeils. Die Aufschrift entlockte ihm einen Freudenruf:
      

       
    Im Nu hatte er sich durchs Fenster ins Freie geschoben. Er klopfte an die Außenwand des Schneckenhauses, woraufhin sich ihm am Kopf des Riesenschieimlings ein Fühlerauge zuwandte. Karl rief: »Danke für alles, Baldrian, und Lebwohl!« Dann sprang er ab.
    Einen Moment noch blickte er der Wanderschnecke nach, die geradewegs auf die hohe Mauer zustrebte. Vermutlich würde sie davor kehrtmachen und den Wald des Vergessens auf einer anderen Route erneut durchqueren. Knarrr hatte ja etwas von einem Zickzackkurs erwähnt.
    Guter Dinge machte sich Karl auf den Weg zum Haus der Erwartungen. Der Text auf dem Wegweiser war ein wenig merkwürdig. Entfernung: So weit Sie wollen. Da musste sich wohl jemand einen Scherz erlaubt haben. Er hatte das Sammelsurium unterschiedlichster Bauwerke doch schon gesehen. Karl klappte seine Taschenuhr auf. Elf Minuten nach acht. Um halb neun würde er das Haus erreicht haben.
    Punkt acht Uhr dreißig traf er vor dem Haus der Erwartungen ein. Nun wunderte sich Karl doch ein wenig über die Genauigkeit seiner Schätzung. Zutritt erlangte man offensichtlich über eine kolossale, strahlend weiße Rundhalle, die auf einem Platz aus schwarzem Vulkangestein stand. Drei überdachte Wandelgänge führten zu benachbarten Gebäuden. Die Ziegel des einen waren rot, die des zweiten blau und die des dritten grün. Karl wandte sich der großen Freitreppe zu, die unter einem Säulenvorbau mit spitzem Giebel endete. Er versuchte die Zahl der Säulen zu zählen, kam aber jedes Mal auf ein anderes Ergebnis. Sein Blick wanderte weiter zum Giebeldreieck des Vorbaus. Dort stand in erhabenen Lettern eine Inschrift:
      
    Hier bekommst du, was du willst
       
    »Klingt vielversprechend«, murmelte Karl. Aber durfte man solchen Zusicherungen glauben? Er war in seinem jungen Leben schon genug Lügen aufgesessen, um der reichlich großspurigen Behauptung mit Argwohn zu begegnen. Was, wenn da drin irgendein vielarmiges Ungeheuer mit Fledermausflügeln, großen bösen Augen und einem hungrigen Maul auf ihn lauerte?
    »Guten Morgen! Ist da jemand?«, rief er zu der wuchtigen hellbraunen Tür im Schatten des Giebels hinauf.
    Niemand antwortete.
    Wie hatte Albega doch gleich die Hausherrin genannt? Wenn es ihm nur einfallen würde! Anscheinend knabberte Amneme doch schon an seinem Gedächtnis herum, sonst... Hallúzina! Mit einem Mal war der Name wieder da.
    Karl rief ihn mehrere Male. Aber keine Antwort kam. Er überwand die letzten Stufen bis zur Tür. Ein kleines goldenes Schild war daran festgeschraubt. Auf diesem stand nicht etwa Hallúzinas Name, sondern:
      
    Mach mich erwartungsvoll!
      
    Er verspürte nicht die geringste Neigung herauszufinden, was mit dieser nebulösen Aufforderung gemeint sein könnte, und rief noch einmal nach irgendjemandem, aber niemand schenkte ihm Gehör. So betrat er also schweren Herzens das Haus der Erwartungen.
    Die Tür war unverschlossen, wie vermutet. Zaghaft schritt er bis zur Mitte der Eingangshalle, den Blick unverwandt nach oben gerichtet. Der gewaltige Rundbau wurde von einer mächtigen Kuppel überragt. Er war völlig leer. Ein Säulengang an der Außenwand verlieh dem monumentalen Gebäude eine unerwartete Leichtigkeit. Karl entdeckte zahlreiche Ausgänge und versuchte sich zu erinnern, ob er draußen ebenso viele Wandelgänge gesehen hatte. Es gelang ihm nicht.
    Als er den Blick nach unten wandte, sah er eine kunstvolle Windrose, die sich in rotem, grünem und blauem Marmor aus dem weißen Grund abhob. Schwarze dünne Nähte grenzten die verschiedenen Gesteinsarten voneinander ab. Alle vier Haupthimmelsrichtungen waren durch ein N gekennzeichnet. Karl kannte auf der Erde nur einen Punkt, von dem aus man überall nach Norden gelangte – den Südpol –, aber er zweifelte, ob es einen solchen in Phantásien gab. Was sich der Schöpfer dieser Windrose wohl gedacht hatte?
    »Vielleicht führen alle Wege zum

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