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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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pausenlos das leise Trommeln von Baldrians Füßen an sein Ohr. Der ständige Gleichklang übte auf ihn die gleiche Wirkung aus wie auf andere Menschen das Gurgeln eines Bachs, das ferne Rauschen des Meeres oder ein sanftes Wiegenlied.
    Und so sank Karl, ehe er sich's versah, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 DAS HAUS
    DER ERWARTUNGEN
     
     
    Als Skrzat zur Abschussstelle zurückkam, packte ihn nacktes Entsetzen. Gerade erst hatte er dem Herrn die gute Nachricht übermittelt, und nun das! Das Menschenkind war ausgebüchst. Die Fesseln lagen wie durchgeschmorte Flachsfäden unter dem Baum. Besaß dieser Karl Konrad Koreander etwa Zauberkräfte? Oder hatte ihm ein anderer geholfen?
    Der Waldschrat blickte zu dem Briefgreif hinüber. Nein, der Adlerlöwe lag in tiefer Bewusstlosigkeit. Er konnte den Gefangenen nicht befreit haben. Skrzat hatte große Lust, dem Greif trotzdem die Haut bei lebendigem Leib über die Ohren zu ziehen, aber dazu fehlte ihm die Zeit. Wutschnaubend rannte er zwischen den Bäumen hin und her, bis er endlich die frischen Spuren entdeckte.
    »Ein Riesenschleimling«, sagte er leise.
    Die Wanderschnecke kam alle paar Tage hier vorbei, deshalb hatte Skrzat ihrem Trampelpfad anfangs keine Beachtung geschenkt. Aber jetzt bemerkten seine scharfen Augen daneben die Abdrücke eines Menschen.
    »Der Bursche will den Wald durchqueren! Ist raffinierter, als ich es ihm zugetraut hätte«, knurrte der Waldschrat und stieß einen zornigen Schrei aus. »Na warte, Bürschchen, weit kann dein Riesenschleimling noch nicht gekommen sein.«
    Skrzat erhob sich in die Luft. Er würde die Wanderschnecke einund sich seinen Gefangenen zurückholen. Zumindest dachte er das. In seiner Wut wagte sich der Schrat zu tief in den Wald hinein. Darüber vergaß er den Zweck seiner Jagd und landete auf einer vom Mond beschienenen Lichtung, um zu überlegen, was er hier überhaupt suchte. Nur ab und zu aß er einen Käfer oder eine Spitzmaus, die sich zu dicht in seine Nähe wagten. So vergingen viele Jahre, und normalerweise hätte der Waldschrat Amneme wohl nie wieder verlassen. Aber trotzdem gelangte er später auf ziemlich erstaunliche Weise in die Alte Kaiser Stadt, in der ohnehin niemand bei Verstand ist. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
    ∞
       
    Karl schreckte aus dem Schlaf hoch, als ihm die Morgensonne direkt in die Augen schien. Verwirrt blickte er sich um. Durch ein kleines rundes Fenster konnte er grüne Blätter vorüberziehen sehen, immer wieder durchbrochen vom strahlenden Blau des Himmels. Wo war er? Warum war er hier? Panik stieg in ihm hoch. Hatte das Vergessen sich etwa schon ans Werk gemacht?
    Es war nur die übliche Desorientierung, gegen die er des Öfteren nach dem Aufwachen ankämpfen musste. Allmählich kehrte alles zurück: der Absturz mit dem Briefgreif, das kurze, aber unangenehme Zusammentreffen mit dem Waldschrat, die Flucht in Baldrians Schneckenhaus ... Besorgt reckte er sich zur Lichtöffnung hoch, um seine Umgebung genauer zu betrachten. War der Waldrand schon sichtbar? Oder bestand immer noch die Gefahr eines schleichenden Befalls mit dem Vergessen?
    Zu seiner Erleichterung entdeckte er zwischen den Ästen eine offene Landschaft. Ganz in der Nähe erstreckte sich ein weiter grüner Hang, der zum Wald hin abfiel und aussah, als hätte darin jemand mit einem großen Rechen unzählige parallele dunkle Furchen gezogen.
    Bei genauerem Hinsehen erkannte Karl ein ihm durchaus vertrautes Bild. »Ein Weinberg«, flüsterte er schmunzelnd. Das war ein gutes Zeichen. Er hatte es geschafft! Fast jedenfalls, denn am Waldsaum bemerkte er eine hohe Mauer. Selbst für Baldrian war der Steinwall wohl unüberwindlich. Möglicherweise nicht von ungefähr, dachte Karl. Unter Umständen war der Riesenschleimling ja am Ende eine zu groß geratene Weinbergschnecke.
    Als er zu einem anderen Fenster wechselte, machte er eine neue, aufregende Entdeckung. Da stand, in einiger Entfernung, ein Palast. Normalerweise hätten ihm die Bäume die Sicht versperrt, aber weil der Wald an dieser Stelle in einer Senke abfiel und bei dem Gebäudekomplex wieder anstieg, konnte er ihn sehen. Je länger Karl zu dem bunten Dächergemisch hinüberblickte, desto klarer schälten sich einzelne Details heraus. Ja, es handelte sich eindeutig um eine ganze Ansammlung von Bauwerken, die alle irgendwie untereinander verbunden waren. Er sah kleine Holzhütten, marmorne Villen, aus Feldsteinen

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