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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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wie ihn Karl zuletzt im Buchladen erlebt hatte. »Wir müssen schleunigst ein paar Fragen klären.«
    »Aber ich wollte ...«
    »Nicht jetzt, Herr Koreander.«
    »Sie erwähnten die Nachfolge. Unter der Generalvollmacht, die Sie mir ausgestellt haben, fehlt...«
    »Das hat alles Zeit.« Der Meisterbibliothekar umfasste sanft Hallúzinas Arme, sah ihr fest in die Augen und sagte: »Ich muss etwas von dir wissen, meine Liebe.«
    »Alles, was du willst, Schmu... Thaddäus.«
    »Denk dir bitte einen neuen Kosenamen aus. Schmusibär hat Marie immer zu mir gesagt. Du bist Hallúzina.«
    »Wie wäre es mit...«Ein kleiner gelber Kanarienvogel kam herbei geflattert, setzte sich auf Hallúzinas Schulter, und als sie mit dem Finger sein Köpfchen streichelte, tirilierte er, als hätte er sie schon eine Ewigkeit vermisst.
    Herr Trutz sah entsetzt den Vogel, dann die Frau an. »Bitte nenne mich nicht Mausi.«
    Karl schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
    Herr Trutz und Hallúzina bedachten ihn mit einem besorgten Blick und setzten ihre Unterhaltung fort. »Also«, sagte der Buchhändler und erzählte ihr von den rätselhaften Auflösungserscheinungen in der Phantásischen Bibliothek. »Ich mag nicht an irgendeine Krankheit glauben«, kam er schließlich auf den Punkt, »an einen Pilz, der Bücher frisst, oder dergleichen. Eher vermute ich hinter all dem einen abgefeimten Plan ...«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische«, fiel ihm Karl ins Wort und erzählte nun seinerseits in knappen Zügen von seiner Reise durch Phantásien. Besonderes Gewicht legte er auf die Begegnung mit Skrzat, dem Waldschrat, und kam zu dem Schluss: »Offenbar schießt der hässliche Gnom nicht aus purer Bosheit Briefgreife vom Himmel. Er handelt im Auftrag eines >Herrn – wer immer das sein mag. Knarrr muss den Schrat schon oft belauscht haben, aber er konnte mir auch nicht sagen, wer dieser Unbekannte ist.«
    Herr Trutz nickte und richtete das Wort wieder an Hallüzina. »Man hat mir gesagt, du seiest eine Expertin für Erwartungen, meine Liebe.«
    Sie lächelte verlegen. »Das ist eine maßlose Übertreibung.«
    »Aber das Haus...«
    »Ist nicht von mir errichtet«, unterbrach sie ihn. »Mein Vater hatte hier vor langer Zeit einen Weinberg angelegt. Später, die Eltern waren längst gestorben, habe ich das sechseckige Spiegelkabinett entdeckt. Allmählich fand ich heraus, wie es die Erwartungen seiner Besucher zu zeigen und sogar greifbar zu machen vermag. Im Laufe der Jahre waren zahllose Gäste hier, wie du an dem Durcheinander vor der Haustür erkennen kannst. Viele Besucher erwarten sich vom Leben nichts als Genuss, Reichtum und Macht – die Paläste draußen sprechen für sich selbst. Meistens konnte ich die Leute schnell wieder abwimmeln, nicht immer mit Nettigkeit...«
    »Und so entstand die Legende von Hallúzina, der Hexe«, murmelte Karl und fühlte sich elend dabei.
    Sie legte ihre Hand auf die seine. »Nicht allein Sie haben mich zur Hexe gemacht. Hauptsächlich war ich es selbst, weil ich mir nicht anders zu helfen wusste.«
    So richtig tröstete ihn das auch nicht. Er kam aus einer Welt, in der Vorurteile zur Tagesordnung gehörten, hatte aber bisher immer geglaubt, dagegen gefeit zu sein.
    »Vielleicht kannst du uns trotzdem weiterhelfen, meine Liebe«, meldete sich wieder Herr Trutz zu Wort. »Was erwartet sich der Dieb – wir gehen ja wohl inzwischen alle davon aus, dass irgendjemand die Bücher stiehlt – von der schleichenden Plünderung unserer Bibliothek? So wie er vorgeht, muss er sehr schlau sein, aber jedes Geschöpf Phantásiens, das nur ein bisschen Grips im Kopf hat, weiß doch, dass es mit der Zerstörung der Phantásischen Bibliothek an dem Ast sägen würde, auf dem es selbst sitzt.«
    »Vielleicht ein verwirrter Selbstmordkandidat«, schlug Karl vor.
    Herr Trutz und Hallúzina gingen nicht weiter darauf ein. Sie knabberte an ihrer Unterlippe und wiegte den Kopf hin und her – man konnte richtig zusehen, wie es in ihrem Hirn arbeitete. Endlich sagte sie: »Auch wenn ich dich enttäuschen muss, Thaddäus, aber ich kann nicht sagen, was der oder die Täter sich erwarten. Doch das Erkennen der wahren Motive einer Person liegt oft im umfassenden Verständnis der Auswirkungen ihres Handelns. Ihr müsst herausfinden, was es mit dieser Leere auf sich hat, die in den Lücken der verschwunden Bücher zurückbleibt.«
    »Das haben wir uns auch schon ...« Karl verstummte, als ihn die strengen Blicke der beiden

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