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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Hände auf die Schultern, die Linke Hallúzina, die Rechte Herrn Trutz. Er war überzeugt, dass sein Plan klappte, und brauchte seine Erwartung nur noch mit einem beherzten Schritt zu bekräftigen – mitten durch die Wand hindurch.
    Und so fanden sich die drei auch wirklich in der Spiegelwabe wieder.
    Die sechseckige Zelle war natürlich nicht für Gruppen ausgelegt. Daher machten es die beengten Verhältnisse für Karl nicht ganz leicht, seine beiden Entführten auf das Wesentliche des Raumes hinzuweisen. Hallúzina stand hinter ihm, als er dem Alten ins Ohr zischte: »Sehen Sie sich an, Herr Trutz. Dieser senile Zwerg, das sind Sie. Erkennen Sie sich ...?«
    Karl erschrak, als er sein eigenes Spiegelbild sah, die selbstgefällige Miene, das verschlagene Funkeln in den Augen. Neben dem verschüchterten kleinen Meisterbibliothekar ragte der geharnischte Ritter auf, den er gestern noch links Hegen gelassen hatte.
    »Lassen Sie ihn sofort in Ruhe«, verlangte Hallúzina hinter ihm. Auffälligerweise nannte sie Herrn Trutz nicht mehr Schmusibär.
    Karl war ganz durcheinander. Wie Herr Trutz wandte auch er sich mal hier-, mal dorthin, aber während die Spiegel ihm seine sechs unterschiedlichen Ichs zeigten, stellten sie den Buchhändler unterschiedslos in seiner vertrauten, kleinen, vom Alter gezeichneten Gestalt dar. Oder nein, nicht ganz, korrigierte sich Karl, auch bei Herrn Trutzens Abbild gab es zumindest geringe Unterschiede: Mal sah er entschlossen und unternehmungslustig aus, mal müde und gebeugt, auf der Wand mit dem Ritter wirkte er hilflos, an einer anderen lächelte er selig ... Und dann erstarrten beide Männer ziemlich zugleich.
    Endlich waren Hallúzinas Spiegelbilder in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gerückt; die Herrin des Erwartungshauses hatte sich in den Vordergrund gedrängt, um ihren weißhäuptigen Liebling vor Karls Rücksichtslosigkeit in Schutz zu nehmen. Sie war als die hutzelige Hexe neben dem Ritter erschienen, aber in dem Spiegelbild daneben – das Herrn Trutz als rüstigen, glücklichen und zufriedenen Mann zeigte – sah sie ganz anders aus. Hier stand sie aufrecht in einem sauberen Kleid aus grauer Wildseide. Ihr weißes Haar war ordentlich auf dem Kopf zusammengelegt. Und ihr Gesieht, das trotz ihres Alters immer noch liebreizend war, strahlte Güte aus, Freundlichkeit und eine Weisheit, die über jedes Gezänk erhaben sein musste. In ihren Augen lag ein Schalk, der Humor verriet. Und als sie ihren Arm schützend um den kleinen alten Mann legte, verriet sie sich als die fürsorgliche, die liebende Marie, die Hallúzina für Thaddäus Tillmann Trutz sein wollte.
    Die übrigen drei Spiegelbilder aber, jene, die beide Männer zum Erstarren gebracht hatten, waren weder zum Fürchten noch ganz so vollkommen, wie das der Marie Trutz. Sie zeigten eine hübsche alte Frau im einfachen grauschwarzen Wollkleid einer Bäuerin, die noch kleiner als der Buchhändler war und sehr verlassen wirkte. In ihren traurigen Augen leuchtete die Sehnsucht nach Zweisamkeit und Geborgenheit. Und in diesem Moment begriff nicht nur Karl, dass dies die wirkliche Hallúzina war.
     
      
      
      
     
     
DAS DRACHENMÄDCHEN
     
    Jeder verließ die Spiegelwabe durch eine andere Wand, und alle drei trafen wieder im Kaminzimmer zusammen. Hallúzina wirkte bedrückt wie jemand, der sich einer Sache schämte. Karl ging es nicht viel anders, weil er in der sechseckigen Zelle sein hässliches Gesicht gezeigt und Herrn Trutz so rücksichtslos behandelt hatte. Der wohl überraschendste Wandel war jedoch beim Buchhändler zu beobachten. Sein Blick wanderte im Raum hin und her, wobei er weniger verunsichert als vielmehr wachsam wirkte, wie ein Krieger, der aus jedem Winkel mit einem Angriff rechnete. Als er dann als Erster das Wort ergriff, fiel Karl ein Stein vom Herzen, und Hallúzina seufzte wie von tiefer Trauer beschwert. »Das ist ja prächtig! Da fällt man vom Himmel und landet geradewegs in so einer gemütlichen Stube.« Herr Trutz verbeugte sich vor der Hausherrin, die nun offenbar für jeden im Zimmer gleich aussah: wie eine einsame, alte, traurige, kleine Bäuerin. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Thaddäus Tillmann Trutz. Möglicherweise haben Sie schon von mir gehört. Ich bin der Meisterbibliothekar der Phantásischen Bibliothek.« Karl stieß einen Freudenschrei aus. Weil er hinter dem Buchhändler stand, hatte der ihn noch gar nicht bemerkt. Und als der junge Mann das entschlossene und

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