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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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kleinen Provokationen mit geradezu bewundernswerter Langmut. Natürlich war das alles nur Maskerade, dachte Karl. Er würde sich davon nicht täuschen, sich nicht von ihr bestricken lassen. Allein schon ihr abstoßendes Aussehen hielt seine Sinne wach.
    Angesichts der Weitläufigkeit des sogenannten Hauses der Erwartungen – es handelte sich ja eher um ein Museum voller Exponate unterschiedlichster Baustile – lebten Herr Trutz und seine Hexe in geradezu bescheidenen Verhältnissen. Ihr Landhaus verfügte lediglich über fünf Zimmer. Eines hatte Hallúzina auf Drängen ihres Mannes dem Gast überlassen. Als aus der Küche leises Geklapper zu Karl ins Zimmer drang, wälzte er sich aus dem Bett. Er war wie gerädert. Aus einer bereitstehenden Kanne goss er Wasser in eine Porzellanschüssel und wusch sich. Danach zog er sich an und ging in die Küche.
    »Guten Morgen, Herr Koreander. Haben Sie gut geschlafen?«, begrüßte die Hexe ihren Gast.
    Sie will sich einschmeicheln. Das gehört zu ihrer Taktik,
    dachte Karl und antwortete: »Nicht besonders.«
    Sie lachte. »Das geht den meisten so, weil sie einfach davon ausgehen, dass fremde Betten unbequem sein müssen. Mit den Erwartungen ist das so eine Sache, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    Karl nickte und warf der gelben Katze einen düsteren Blick zu. Sie saß auf einer Stange neben dem Fenster. Eine Weile sah er Hallúzina beim Zubereiten des Frühstücks zu. Als die Katze fröhlich zu trällern begann, schaute er wieder in ihre Richtung, und mit einem Mal war die Idee da. Mausi spiegelte sich in der Fensterscheibe. Die Spiegelwabe! Dorthin musste er den Buchhändler bringen und am besten auch gleich Hallúzina. Bei ihm, Karl, hatte es schließlich funktioniert. Zweifellos würde auch Herr Trutz dort wieder der sein, der er wirklich war. Und die Hexe ebenso.
    Einige Zeit später – Herr Trutz hatte sich mit noch wilderer Frisur als gewöhnlich zu ihnen gesellt – saßen die drei am Frühstückstisch. Karl hatte zuvor sein Schwert in dem Alkoven versteckt, hinter dem er die Spiegelkammer vermutete. Die Waffe lag unter dem Polster. »Mein Klappmesser ist weg!«, rief er unvermittelt.
    Die beiden alten Leute hielten inne, der eine beim Abbeißen von einer Mohrrübe, die andere beim Nippen an einer Tasse.
    »Das ist Ihnen jetzt gerade eingefallen?«, knurrte Herr Trutz. Er sei nach dem Aufstehen immer etwas mürrisch, hatte Hallúzina ihren Gast vorgewarnt.
    »Ich hänge sehr daran«, jammerte Karl.
    »Dann wär's Ihnen ja wohl nicht verloren gegangen.«
    »Vielleicht hat er es nur auf seinem Zimmer liegen lassen, Schmusibär«, sagte die falsche Marie beschwichtigend.
    »Ich werde nachsehen«, schlug Karl vor und eilte aus dem Raum. In seinem Zimmer zählte er langsam bis fünfzig, dann rannte er zu den beiden Alten zurück. »Da ist es nicht.«
    »So ein Klappmesser kann sich doch nicht in Luft auflösen«, brummte Herr Trutz.
    »Es sei denn, man erwartet es nicht anders«, fügte Hallúüzina lauernd hinzu.
    Karl gab sich begriffsstutzig und aufgelöst vor Sorge um das geliebte Messer. Ein Geschenk seines Vaters – das stimmte sogar –, ein kostbares Stück – wenigstens ideell – und selten noch dazu. Nach einigem Zetern hatte er die beiden so weit gebracht, dass sie ihr Frühstück entnervt stehen ließen und bei der Suche halfen. Obwohl Herr Trutz keinen Schritt ohne seinen schwarzen Stock machte, schien er darauf nicht mehr angewiesen zu sein, sondern bewegte sich so agil, als hätte sein Körper die letzten dreißig oder vierzig Jahre vergessen. Karl konnte das nur recht sein. Geschickt lotste er das Paar ins Kaminzimmer. Stellte sich vor den Alkoven. Legte die Fingerspitzen beider Hände an die Schläfen. Schloss die Augen. Rekapitulierte wie ein Meisterdetektiv den vergangenen Abend – alles in zeitlich umgekehrter Folge. Legte seinen Zuhörern zuletzt die allein richtige Lösung des verzwickten Falles nahe, tat aber so, als leide er, der geniale Detektiv, plötzlich unter geistiger Verstopfung.
    »Hier habe ich gestanden. Habe ich doch, oder? Wo kann es nur sein ...?«
    Herr Trutz und Hallúzina standen ihm gegenüber und sahen ihn an wie einen Illusionisten, der jeden Moment einen Greif oder dergleichen aus seinem Hut zaubern würde. Plötzlich liefen sie gleichzeitig los, wie zwei Jäger eines verlorenen Schatzes, die einander zuvorkommen wollten. Als sie bei dem Alkoven ankamen und gerade nach dem Sitzpolster greifen wollten, legte Karl ihnen die

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