Isch geh Schulhof: Erfahrung
sieht das alles etwas anders.
»Denken Sie bitte an die Chancen, die dieses Projekt mit sich bringt«, erinnert sie das Kollegium, wird jedoch schnell unterbrochen.
»Ich möchte dazu jetzt mal etwas loswerden«, ruft Frau Renner in den Saal, woraufhin schnell Ruhe einkehrt.
Unter all meinen Kolleginnen ist sie mit Abstand die verbissenste. An einigen Tagen überrascht sie uns zwar mit gefährlich guter Laune, doch meist versprüht sie den Charme eines Pulverfasses, das bei der kleinsten Erschütterung zu explodieren droht. Nur ganz wenige haben den Mut, sich mit ihr anzulegen, und wer es schon einmal probiert hat, weiß: Entweder man stimmt ihr zu oder die Diskussion endet in einem hysterischen Gekeife, dem man nur noch schwer entkommen kann. Wie der Unterricht bei ihr aussieht, weiß ich nicht, aber ich mag es mir selbst in meinen finstersten Träumen nicht ausmalen.
Geierchen brachte ihre Rolle einmal gut auf den Punkt. »Die Alte is fix und feddich, als Lehrerin nich mehr zu jebrauchen«, erklärte er mir nach meinem ersten Zusammenstoß mit ihr. »Aber die kannste immer jut als Waffe gegen die Schulleitung einsetzen. Wennse eens druffhat, denn isset Meckern.«
Nun bin ich aber äußerst gespannt auf ihren Beitrag.
»Ja, bitte, Frau Renner«, lenkt Frau Juhnke freundlich ein, die auch schon einmal das eher fragwürdige Vergnügen hatte, mit der Dame aneinanderzugeraten.
Frau Renner atmet tief durch, schließt die Augen und sammelt sich einen Moment. Die Ruhe vor dem Sturm ist beängstigend. Dann holt sie weit aus und erklärt uns, dass sie in mehr als dreißig Jahren im Schuldienst noch keine Reform erlebt habe, die bis zum Ende durchgezogen worden wäre. Dafür erntet sie Applaus, und zwar nicht nur vom älteren Teil des Kollegiums.
»Zuletzt war es die Einführung der Schuleingangsphase, dann kam JÜL – und was davon hat funktioniert? Nichts!«, schließt sie ihre flammende Rede ab.
Wieder Applaus. Frau Juhnke hat sich inzwischen hingesetzt und tut so, als würde sie sich etwas notieren. Ich möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken, doch als zukünftiges Mitglied der Erweiterten Schulleitung identifiziere ich mich schon jetzt etwas mit der Idee der Reformschule. Außerdem habe ich bei der Unterzeichnung meines letzten Arbeitsvertrags schriftlich bestätigt, dass ich dem Projekt Reformschule zustimme und mich als Lehrer aktiv an der Umsetzung beteiligen werde. Wenn das die Kollegen wüssten – und erst Frau Renner! Kaum auszumalen …
»Frau Renner, ich verstehe Ihren Unmut«, versucht die Schulleiterin die aufgebrachte Dame zu beruhigen und weist dann sachlich darauf hin, dass das Projekt Reformschule bereits beschlossene Sache sei.
Zahlreiche Gegner des Projekts unterbrechen sie lauthals, zwei Kolleginnen stehen auf und verlassen kopfschüttelnd den Raum, ein Tumult droht auszubrechen.
Nur Geierchen sitzt seelenruhig in dem ganzen Chaos, liest seine Zeitung und isst Kekse. Als er meinen Blick bemerkt, kommt er zu mir rüber, legt mir zwei Kekse auf den Tisch und schaut mir fest in die Augen.
»Ick hoffe, du hast dir dit jut überlegt mit deiner Esel-Wahl! Jetzt hängste mit drin. Du bist für die Reformschule? Denn sach mir ma, warum!«
Er nickt mir auffordernd zu und schlendert wieder zu seinem Platz. Gute Idee eigentlich, ich könnte ja auch mal was sagen. Ich hebe meinen Arm für einen Wortbeitrag und warte, bis langsam wieder Ruhe einkehrt. Als es leise ist, versuche ich, meine Gedanken in Worte zu fassen. Zu Beginn räume ich ein, zwar kein gelernter Lehrer zu sein und nach all den Reformen, die ich nur aus Zeitungsberichten kenne, die Skepsis sehr gut verstehen könne. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und spreche aus, was seit Langem in mir brodelt.
»Egal, was sich hier ändert – es kann nur besser werden!«
Der begeisterte Applaus einiger Anwesender mischt sich mit den genervten Blicken ihrer Sitznachbarn und dem konsequenten Desinteresse von all jenen, deren Arbeitsweise sich nur noch als ›Warten auf die Rente‹ bezeichnen lässt.
»Ich weiß, dass es ein langer Weg ist, aber wir haben jetzt die Chance, einen ersten Schritt zu gehen, und ich finde, wir sollten es auch tun. Einige von euch glauben verständlicherweise nicht mehr daran, dass Schule verbessert werden kann – aber für diesen Zynismus bin ich zu jung.«
Während der Saal heiß über meine Aussage diskutiert, wandern meine Gedanken zum Ursprung dieser Missstände. Die Organisationsform der Schule, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher