Isch geh Schulhof: Erfahrung
Kerl erweist, ins Gespräch. Der verschiedenen Probleme an unserer Schule scheint er sich durchaus bewusst zu sein.
»So, Herr Möller«, beginnt er das übliche Begrüßungszeremoniell. »Sie sind also der Quereinsteiger. Frau Juhnke hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«
»Sicherlich nur Gutes«, entgegne ich mit einem breiten Grinsen.
»Ausnahmslos!« Er lächelt ebenfalls, und nachdem er sich mit einem kurzen Seitenblick vergewissert hat, dass uns niemand zuhört, bittet er mich um eine ehrliche Einschätzung der Situation.
Also erkläre ich ihm, dass ich seit meinem Einstieg schockiert bis sprachlos über das bin, was sich hier Schule nennt. Als er mich dazu auffordert, in diesem schonungslosen Ton fortzufahren, freue ich mich darüber, endlich auch mal eine Supervisionsstunde zu erhalten – wenn auch eine ganz und gar ungewöhnliche. Ich berichte Herrn Springer zuerst von den unsanierten Toiletten, die regelmäßig überlaufen und trotz Reinigung einen ekelerregenden Geruch verströmen.
»Jede durchschnittliche Imbissbude würde sich dafür schämen«, stelle ich ohne mit der Wimper zu zucken fest und fahre mit meiner Erfahrung in den Klassenräumen fort. Diese sind nämlich größtenteils unrenoviert, und die »Renovierungsarbeiten« werden gerne lautstark während der Unterrichtszeit durchgeführt.
Die Schüler, das versuche ich möglichst vorwurfsfrei zu formulieren, stammen zu großen Teilen aus bildungsfernen Elternhäusern, benehmen sich teilweise wie die Axt im Walde und halten dieses Benehmen für vollkommen normal. Ständige Prügeleien, sogar Handgreiflichkeiten gegenüber Lehrern und permanente Unruhe stellen den Unterrichtsalltag dar. Das Leistungsniveau ist dementsprechend unterirdisch, und in vielen Klassen findet nicht das statt, was die Bezeichnung Unterricht verdient. Bis Frau Juhnke kam, berichte ich dem Konrektor, wurde die Schule von einem vollkommen überforderten Typen geleitet, der von Management so viel Ahnung hatte wie ich vom Pokern.
Die Unzufriedenheit im Kollegium nimmt verständlicherweise konstant zu, der Krankenstand ist entsprechend hoch, und einige Kollegen sind meiner Meinung nach überhaupt nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben. Am Ende des letzten Schuljahres haben meines Wissens knapp die Hälfte aller Lehrer einen Versetzungsantrag eingereicht.
Er nickt bedächtig.
»Und was ich bisher über die kommunale Schulpolitik weiß …«, fahre ich leise fort, doch er kommt mir zuvor.
»Was dort passiert«, versichert er mir, »sprengt garantiert jede Ihrer Vorstellungen von Dilettantismus.«
Dann überrascht er mich, indem er mir berichtet, dass wir uns für Berliner Verhältnisse auf einer eher mittelmäßigen Schule befänden.
»Glauben Sie mir«, sagt er mit einem ernsten Blick. »Es geht noch viel schlimmer.«
Nach diesem Satz lächelt er wieder, reicht mir die Hand und stellt sich mir als Tom vor. Im Büro angekommen, freut sich Frau Juhnke, dass wir beiden uns ein bisschen kennengelernt haben, und an ihrem Blick meine ich zu erkennen, dass sie ganz genau weiß, worüber wir gerade gesprochen haben.
»Danke für Ihr Engagement, Herr Möller«, sagt sie erleichtert und bietet mir einen Platz und Kaffee an. Dann erläutert sie mir, dass sie nach dem Weggang von Frau Sommer vorhabe, mich als stellvertretenden Klassenlehrer der neuen 6a einzusetzen – der alten 5a, die ich bereits in Musik und Sport unterrichtet habe.
»Und wer wird die Klasse leiten?«, frage ich gespannt, woraufhin sie mir zu meiner großen Freude berichtet, Herrn Geier für diese Aufgabe auserkoren zu haben. Im kommenden Schuljahr werde ich also noch mehr mit ihm zu tun haben – bestens!
Ganz nebenbei setzt sie mich darüber in Kenntnis, dass ich nun auch Englisch unterrichten werde, aber an solche Neuigkeiten habe ich mich ja bereits gewöhnt.
Mitglied der erweiterten Schulleitung, stellvertretender Klassenlehrer und jetzt auch noch Englisch!
»Ist ja unglaublich«, meint Sarah, als ich ihr zu Hause von meinen neuen Aufgaben berichte. Der Umstand, dass ich ohne das Studium, das sie die nächsten Jahre beschäftigen wird, alle möglichen verantwortungsvollen Aufgaben übernehmen darf, scheint sie – verständlicherweise – zunehmend zu frustrieren.
18
Sch’weiß keine Englisch
N ach dem Wochenende sind die Sommerferien endgültig vorbei. Ich betrete die Schule in dem Wissen, ab jetzt gemeinsam mit Herrn Geier eine Klasse zu unterrichten, die andere Lehrer nur noch auf
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