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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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bemerkt, dass die Mädels sich bei seinen Worten bereits das Lachen verkneifen müssen, und kommt ins Schleudern.
    »Und wenn du einen davon abwischst, na ja, dann …«
    Er wird immer nervöser, was alle anderen deutlich spüren und immer lauter über ihn lachen. Kommentare über seine Dummheit und seine Mutter bedeuten für mich, dass ich eingreifen muss, also bringe ich die Klasse mit dem Abwischen eines weiteren Kreises zur Ruhe. Dann lasse ich Samira erklären, was es mit den Kreisen auf sich hat.
    »Immer, wenn wir zu laut sind«, sagt sie wie aus der Pistole geschossen, »wischst du einen Kreis ab. Wenn kein Kreis mehr übrig ist, gibt’s eine Strafe oder keine Belohnung.«
    Pfiffig ist sie ja, die Samira – auch wenn sie einfach nicht verstehen will, dass Lehrer mit »Sie« angesprochen werden. Als ich es ihr einmal erklären wollte, reagierte sie ausgesprochen verwundert.
    »Wieso Sie?«, wollte Samira wissen. »Du bist doch keine Frau!«
    Auch wieder wahr. In einem solchen Umfeld sind pfiffige Kerlchen wie sie jedoch meist unterfordert. Diese Unterforderung drückt sich unterschiedlich aus – bei Samira äußert sie sich erfahrungsgemäß in permanenter Unruhe, Nervosität und oft auch in Aggression. Zusätzlich scheint sie entweder frühreif oder mit einer sehr modebewussten weiblichen Bezugsperson aufzuwachsen. Ständig beäugt sie sich in ihrem kleinen Handspiegel, feilt sich die Nägel oder kritzelt in ihren Supermodel-Malbüchern herum. Wenn ich sie ermahne, setzt sie blitzschnell ihr Ich-bin-doch-aber-so-niedlich-Gesicht auf und ist extrem verwundert, wenn sie die gleichen Konsequenzen über sich ergehen lassen muss wie andere auch.
    Nachdem das System der drei Kreise also für alle in Erinnerung gerufen wurde, verklickere ich der Klasse, dass ich ab sofort auch ihr Englischlehrer bin und Herrn Geier bei der Klassenleitung unterstützen werde.
    Der Einzige, der sich über meinen neuen Job als Englischlehrer nicht zu freuen scheint, ist Amir. Er lernt nämlich Französisch und erklärt mir, warum er gern mehr Unterricht bei mir hätte.
    »Sie sind immer so lustig, und wenn es sein muss trotzdem streng. Außerdem sind Sie der erste Musiklehrer, der mehr kann als ich!«
    Amir hätten wir mal an die Uni einladen sollen, als es um die Frage ging, was einen guten Lehrer auszeichnet. Zwei Wochenenden lang haben wir um den heißen Brei herum geredet, Texte analysiert und Referate gehört – und am Ende wusste niemand, wie er ein besserer Pädagoge sein kann. Amir dagegen schafft es, die Anforderungen auf drei Faktoren herunterzubrechen: Humor, Konsequenz und Fachwissen.
    Ich bedanke mich bei ihm für das Kompliment und erkläre, dass auch ich mir diese Dinge teilweise hart erarbeiten musste und in meinem Job als Lehrer schon viele Rückschläge erlitten habe. Dann schicke ich ihn in den Französischunterricht und widme mich der Unruhe, die während meines Gesprächs mit ihm entstanden ist.
    »So. Nun wisst ihr also, dass ich euer neuer Englischlehrer bin.«
    »Yes, very gut«, brüllt Justin rein und lacht danach hysterisch. Die Dialoge zwischen mir und ihm sind meist so schräg, dass alle anderen aufmerksam zuhören, wenn wir uns unterhalten. Wie ich im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren habe, leidet auch Justin unter stark ausgeprägtem ADHS und weist heftige kognitive Differenzen auf. Weniger professionell ausgedrückt könnte man auch sagen, dass er vollkommen Banane ist – aber das wäre unfair. Ein kurzer Blick hinter seine familiären Kulissen verrät vieles: Als Ältester von vier Brüdern musste Justin vor Kurzem miterleben, wie seine Mutter im Krankenhaus landete. Nach der Geburt des vierten Sohns beging sie einen erfolglosen Suizidversuch und ließ sich danach nie wieder bei der Familie blicken. Mit der alleinigen Erziehung der Kinder vollkommen überfordert, gab der berufstätige Vater die zwei größeren Söhne zu seiner Mutter, und so leben Justin und sein Bruder nun bei seiner Oma und ihrem Lebensgefährten mit dem interessanten Namen Opilein. Die beiden gehören zum Sozialhilfeadel, tragen ihre Trainingsanzüge und Hausschuhe auf der Straße stolz wie eine Uniform und verbringen einen Großteil des Tages auf der Couch oder beim Bäcker. Beim Zahnarzt oder Frisör waren die beiden offensichtlich schon länger nicht mehr, und kein Fitnessprogramm würde es schaffen, die Folgen ihres Lebenswandels aufzufangen.
    Auf dem letzten Laternenfest lernte ich Justins Familie kennen.
    »Diese

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