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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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hältst Maulaffen feil?«, fragt er mich plötzlich und schickt mich dann los, um Kaffee für uns zu holen. Er schmeißt mir sein riesiges Portemonnaie zu, aus dem Hunderte von Kassenbons quellen und das vor Kleingeld zu platzen droht.
    »Wie trinkst ’n deinen Kaffee?«, frage ich ihn.
    »Süß und blond – wie ick!«, erklärt er mir und lacht dreckig über seinen eigenen Witz. Wie die gesamte Schülerschar. »Und jetzt hopp-hopp. Ick hab Durscht wie ’ne Zicke!«
    Kopfschüttelnd verlasse ich den Klassenraum und begebe mich auf den Weg zum Bäcker. Als ich mit den Kaffeebechern zurückkomme und den Klassenraum betrete, traue ich meinen Augen nicht. Geierchen steht vor der Klasse und hält in der einen Hand einen riesigen Fisch, in der anderen ein riesiges Messer. Auf den Tischen der Kinder sind kleinere Fische verteilt, an denen einige bereits interessiert herumspielen, während andere sich angeekelt die Nase zuhalten. An der Tafel hat er den Aufbau eines Fisches skizziert.
    »Die Dinger hab ick gestern in Polen jefangen«, erklärt er mir, als ich den Kaffee abgestellt habe und ihn fragend anstarre. »Geil, wa? So, Leute!«, wendet er sich wieder der Klasse zu. »Wir werden heute einen Fisch sezieren. Dit heißt: Messer rinn, und uff dit Viech!«
    Dann entlässt er wieder ein kurzes und diabolisches Lachen, legt seinen Fisch auf der Zeitung ab, die er auf dem Lehrertisch ausgebreitet hat, und bittet die Kinder nach vorne. Die bilden in Sekundenschnelle eine riesige Traube um ihn herum und rangeln um die besten Plätze. Ich stelle mich auf einen Stuhl und beobachte die Operation von oben. So lebensnahen Unterricht habe ich noch nie erlebt! Als Geierchen das Anglermesser unterhalb des Kopfes in den Fisch einführt und diesen der Länge nach aufschlitzt, wenden sich einige Kinder angewidert ab. Ein paar ganz harte Jungs – oder zumindest solche, die sich dafür halten – bleiben eiskalt vorne stehen und beobachten, wie Geierchen nach und nach die Eingeweide aus dem Fisch holt und alle Teile sorgfältig erklärt. Als die Kids wieder auf ihren Plätzen sitzen, geht er die Bezeichnungen an der Tafel noch einmal durch und gibt schließlich den Startschuss.
    »So, und jetzt seid ihr dranne!«
    Dann streift er sich die OP -Handschuhe ab, schnappt sich seinen Kaffee und stellt sich zu mir.
    »Großartig!«, beginne ich unser Gespräch.
    »Großartig? Dit is normal!«
    »Und wer außer dir macht das noch?«
    »Na, keena, dit is ja dit Problem in unsern Schulsystem: keene Praxis! Wenn ick wat über Fische vermitteln soll, muss ick den Kindern Fische zeigen. Gerade bei den armen Teufeln hier. Die kennen Fisch doch höchstens von Käpt’n Iglo!«
    Immer, wenn es um grundsätzliche Dinge geht, um Fragen der Unterrichtsmethodik oder um den sozialen Hintergrund der Kids, entzündet sich in Geierchen eine flammende Überzeugung, an der man merkt, dass er mit jeder Faser seines Körpers Lehrer ist. Ein Überzeugungstäter und wie für diesen Beruf geschaffen. Bisher habe ich niemanden gesehen, der die Kids so sehr für seinen Unterricht begeistern kann. Er schafft etwas, das in unserem Schulsystem offensichtlich längst vergessen wurde: Spaß.
    Aus der Hirnforschung wissen wir, was gute Pädagogen lange vermutet haben. Lernen findet am besten dann statt, wenn der Lernende Freude oder sogar Begeisterung empfindet. Nur wenn im Gehirn genug Neurotransmitter unterwegs sind, die für Wohlbefinden sorgen, also hauptsächlich Dopamin und Serotonin, kann das passieren, was aus neurobiologischer Sicht als Lernen verstanden wird: das Entstehen und Verstärken von Verknüpfungen im Gehirn, den sogenannten Synapsen. Ohne diese Botenstoffe finden Lernprozesse deutlich langsamer oder gar nicht statt.
    Aus meinem Studium weiß ich noch, dass im Extremfall sogar das Gegenteil erreicht werden kann. Koppelt man den Unterrichtsstoff mit negativen Reizen, wie zum Beispiel einschläferndem Gerede oder ständigem Bloßstellen der Kids, können Kinder dem Lerngegenstand gegenüber nachhaltige Aversionen entwickeln. Diese werden sie unter Umständen bis ins Erwachsenenalter gar nicht mehr oder eben nur mit viel Aufwand los.
    Das hängt damit zusammen, dass unser Gehirn, also jenes für das Lernen zentrale Organ, eine gigantische und höchst komplexe Assoziationsmaschine ist. Jeder äußere Sinneseindruck wird innerhalb von Millisekunden mit einem Gefühl belegt – und zwar lange, bevor der bewusste Verstand auch nur eine Chance hat, sich

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