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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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Eine Bekannte von mir und Sarah sagte mal, hier in Berlin gelte sie immer als Türkin und in der Türkei immer als Deutsche. Für mich persönlich ist dieses Problem nicht so leicht nachvollziehbar, denn für mich ist das Deutschsein eines meiner geringsten Identifikationsmerkmale.
    Ich bin zuerst einmal ich, Philipp Julian Möller. Dann Säugetier, dann Mensch, dann Berliner, dann Europäer und schließlich Erdenbürger – aber Deutscher? Das kommt weit hinten. Doch mit der nationalen Identifikation ist es vielleicht wie mit vielen anderen Dingen: Sie fällt einem erst dann auf, wenn man sie nicht hat.
    Nach ein paar weiteren Antworten schließe ich die Stunde mit einem Rap ab, mit dem die Kinder Englisch lernen sollen. Was viele Schulen bisher versäumen, haben Schulbuchverlage offensichtlich begriffen: die Lerninhalte in die Lebenswelt der Schüler transportieren, sie praktisch erfahrbar machen. Während der Song läuft, verteile ich die Texte. Beim zweiten Hören sollen die Kids bereits mitrappen, was erstaunlich gut funktioniert. Anschließend verteilen wir die Textpassagen auf einzelne Schüler, wobei der Refrain von allen gerappt werden soll. Mit dem letzten Takt entlasse ich die Kids in die große Pause und ziehe mein Resümee: Bis auf wenige Ausnahmen gehen die Englischkenntnisse der meisten über Yes und No , Hello und Thank you kaum hinaus. Einige Vokabeln kennen die Kids zwar, aber ansonsten schweben die Ergebnisse der PISA -Studien über dem Klassenzimmer: Mühsam reingestopftes Wissen auf Kommando erbrechen, das funktioniert gerade so. Aber von der Anwendung sind die meisten meilenweit entfernt.

19
Geier, übernehmen Sie!

    I n der nächsten Doppelstunde bin ich gemeinsam mit Geierchen für Naturwissenschaften eingeteilt. Als er mit dem Klingeln unsere Klasse betritt, sitze ich bereits am Lehrertisch und warte auf ihn. Er grinst mich an, schmeißt seine Sachen auf den Lehrertisch und beginnt.
    »So, Klappe halten, aber alle! Ick bin Herr Geier, euer neuer Klassenlehrer. Wir prüfen jetzt erst mal die Anwesenheit.«
    Dann schnappt er sich das Klassenbuch und stellt seine interkulturelle Inkompetenz unter Beweis. Nahezu jeden Namen, der ihm nicht vertraut ist – und das sind viele! –, spricht er falsch aus.
    »Wat ist dit hier?«, fragt er beim ersten Blick auf die Liste und rückt sich seine rosa Lesebrille zurecht.
    »Kai-Tau? Ist dit wat zu essen?«
    Die Kids lachen, und Cai-Thao meldet sich.
    »Nein, das bin ich«, erklärt sie ihm mit einem Lächeln. »Das spricht man Dschai-Taho aus.«
    »Aha. Und dit soll ick mir merken? Ick nenn dich einfach Kathi, wa?«
    Die Klasse bricht wieder in lautes Gelächter aus, und auch ich kann es mir nicht mehr verkneifen. Der Typ ist einfach zu geil! Jeden seiner Kommentare verbindet er mit einem höchst ansteckenden Lachen, und so wird den Kids sofort klar, dass er es nicht böse meint. Er setzt seine Comedy-Show fort.
    »Mohamed-Ali is hier? Der Boxer?«
    »Nein«, erklären zwei Jungs im Chor, »es ist zwei Namen!«
    So geht er die weiteren Namen durch, bis er bei Enis angekommen ist.
    »Enis?«, fragt er überrascht. »Dit reimt sich ja uff Penis! Mensch, wat ham sich denn deine Eltern dabei jedacht?«
    Die Kids halten sich vor Lachen die Bäuche und zu meiner Beruhigung lacht auch Enis mit. Dann erklärt er seinem Lehrer, dass man den Namen so ausspricht, als würde ein Doppel-N in der Mitte stehen.
    »Und warum stehtet denn nich da?«, fragt Geierchen nach.
    »Gipps nich in Türkei.«
    »Wir sind aber nich inne Türkei hier, schon jemerkt? Na jut, fangwa mal an …«
    Dann erklärt er den Kids in aller Ruhe und dem nötigen Ernst, wie er sich den Unterricht vorstellt. Dabei beherrscht er in Perfektion einen Grundsatz, den ich mir in den letzten Monaten mühsam erarbeiten musste: Teaching is timing! Herr Geier schafft es, in jedem Moment genau den richtigen Ton zu treffen. Mal leise, mal laut, mal streng, mal kumpelhaft, mal schnell, mal langsam. Er scheint ein perfektes Gespür für Pausen zu haben, moduliert seine Stimme so, dass es Freude macht, ihm zuzuhören, und in keinem einzigen Moment der folgenden Minuten kommt Langeweile auf. So harsch er auch sein mag und so unorthodox seine Methoden auch sind: Er ist ein verdammt guter Lehrer! Trotz seiner grenzwertigen Sprüche und seiner teilweise lümmelhaften Art gibt es nicht einen Moment in dieser Stunde, in der sich eines der Kids beleidigt oder gar beschämt zeigt.
    »Und wat sitzt du hier rum und

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