Isch geh Schulhof: Erfahrung
Staatsexamen abschließen würde.
»Und wie steht es um eine solche Verlängerung?«, will ich gespannt wissen, doch wie üblich kann sie mir nur Hoffnungen machen, dass es gut aussieht. Nicht nur wegen meines Unterrichts, erklärt sie mir dann, sondern vor allem auch wegen meines Engagements für das Projekt Reformschule habe sie ein hohes Interesse an meinem Verbleib in der Schule. Trotzdem empfiehlt sie mir, mich vorsichtshalber bei der Agentur für Arbeit zu melden, da mein Vertrag in weniger als drei Monaten ausläuft. Bei diesen Worten erlebe ich einen Anflug von Enttäuschung, doch Frau Juhnke ist wohl noch nicht fertig.
»Aber wenn ich Sie hierbehalte«, fährt sie langsam fort, »dann richtig!«
Nach einer kurzen Kunstpause ihrerseits weiht sie mich in ihre Pläne ein, mich als Klassenlehrer einzusetzen.
Ich starre sie entgeistert an. Als Klassenlehrer? Ohne Staatsexamen? Nach nur zwei Jahren im Lehrerdienst?
Da sie scheinbar meine Gedanken lesen kann, versichert sie mir ihr vollstes Vertrauen in meine Arbeit und legt mir dann eine Klassenliste vor. Zu meinem Erstaunen handelt es sich dabei um die Sternenkinder aus Chrissis Klasse, die gemeinsam mit den Sternenkindern der zwei Nachbargruppen im nächsten Jahr eine der neuen Vierten bilden werden. Und ich soll der Boss dieser neuen Klasse werden. Wahnsinn!
»Herr Möller? Hallo?«
Frau Juhnke reißt mich aus meinen Gedanken und betont, dass die finale Entscheidung der Senatsverwaltung allerdings noch ausstehe. Alles, was sie danach sagt, nehme ich nur noch aus der Ferne wahr, dann verlasse ich geistesabwesend das Büro.
Ich als Klassenlehrer. Meine eigene Klasse. Deutsch. Mathe. Englisch. Klassenausflüge. Elternabende. Zeugnisse. Das volle Programm.
Krass.
Meine erste Stunde nach der Elternzeit ist eine Musikstunde bei den verrückten, aber liebenswerten Schülern von Herrn Schmitz. Die teilen mir mit, dass Herr Schmitz inzwischen von einem jungen Mann unterstützt werde, weil er sich deutlich mehr um die Schulgarten- AG kümmern wolle.
»Er heißt Herr Yilmaz, und er ist auch Türke, wie isch«, erklärt mir Mutlu.
»Und er ist richtig süß!«, fügt Aylin hinzu und wird daraufhin ganz rot, wofür sie die ganze Klasse auslacht.
Das sind doch mal gute Perspektiven! Wir wiederholen unsere Songs des letzten Jahres, und in der anschließenden großen Pause mache ich mich auf die Suche nach Geierchen, um ihm von meinem Gespräch mit Frau Juhnke zu erzählen. Als wir mit einer Zigarette hinter der Schule stehen, zeigt er sich jedoch wenig überrascht von meinen Neuigkeiten.
»Hammse dich am Sack, ick wusstet!«
»Was willste denn damit sagen?«
»Samma, merkst du noch wat?«, fragt er mich und scheint dabei echt sauer zu werden. »Wie oft hammwa darüber jetzt gesprochen, dass du dir wat anderet suchen musst? Du bist’n fauler Hund! Wie lange willste denn noch den Hilfslehrer hier spielen? Hä? Für Eins-Sechs? Ick denke, du hast jetzt ’ne Tochter?«
»Ja, aber …«
»Nüscht aber«, unterbricht er mich schroff. »Wie willste denn davon ’ne Familie ernähren? Dit is doch scheiße! Mann!« Verärgert wendet er sich ab.
Chrissi betritt die Szene.
»Jetz hammsen am Sack!«, schmettert Geierchen ihr sofort entgegen.
»Du sollst nicht immer so ordinär sein, Rolf! Pfui!« Chrissi wendet sich mir zu und fragt mich nach einer herzlichen Begrüßung über meine Tochter aus.
»Klara wird bejeistert sein«, schaltet Geierchen sich wieder ein, »wenn se erfährt, dass ihr Fatta ’n armer Hilfslehrer is, der nur Eins-Sechs nach Hause bringt und seine Talente hier verschimmeln lässt!«
Chrissi setzt ein verwundertes Gesicht auf, also erzähle ich ihr vom Angebot der Schulleitung und meiner Entscheidung, dieses Angebot anzunehmen.
Aber was, wenn Rolf recht hat? Was, wenn ich meine eigentlichen Talente hier tatsächlich vergammeln lasse? Was, wenn ich in zwanzig Jahren wach werde und feststelle, dass ich zu Rolf geworden bin? Frustriert und ausgebrannt, inhaltlich unter- und emotional überfordert?
Als könnte er meine Gedanken lesen, schaut er mich fest an und sagt: »Ick, mein Lieber, bin verbeamtet und hab fast dit Doppelte raus wie du. Überleg’s dir jut!«
Er schnipst seine Zigarette weg und lässt uns stehen. Abwesend zeige ich Chrissi ein paar Bilder von Klara und mache mich dann auf den Weg zum Unterricht.
27
Geschichten aus der Parallelwelt
M utlu aus der Vierten hat wirklich nicht zu viel versprochen, als er sagte, der neue
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