Isch geh Schulhof: Erfahrung
nach meinen beruflichen Prioritäten. Wenn ich einmal alt bin, sage ich mir, dann blicke ich nicht darauf zurück, ein paar Hundert Euro mehr im Monat verdient zu haben, sondern ich blicke zurück auf ein Leben, in dem ich Zeit für die Dinge hatte, die mir wichtig sind: meine Familie, meine Freunde und meine Hobbys.
Diese Haltung überrascht mich, denn noch vor zwei Jahren konnte ich mir nichts Besseres als eine Karriere in der Wirtschaft vorstellen. Ein fettes Jahresgehalt, schicke Anzüge und einen schnittigen Dienstwagen. Mein jetziges Traumauto bietet genug Platz für mindestens zwei Kinder und schneidet im Umwelttest deutlich besser ab als in der Beschleunigung von null auf hundert.
Die Elternzeit stellt sich schon in den ersten Wochen als Wohltat heraus. Trotz des wenigen Schlafs, den Sarah und ich in den ersten Wochen bekommen, genießen wir jede Minute mit unserer unglaublich süßen Tochter. Insgesamt fällt uns das Dasein als junge Eltern nicht schwer, und weil Klara weder Dreimonatskoliken noch irgendwelche anderen Wehwehchen hat, kommen wir schon bald zu halbwegs regelmäßigem Schlaf. Der anbrechende Frühling bringt wärmere Luft und etwas Sonnenschein nach Berlin, und so verbringen Sarah, Klara und ich viel Zeit mit langen Spaziergängen, die wir mit dem Treffen von Freunden im Café krönen.
Knapp drei Wochen nach Klaras Geburt kommt auch der Sohn unserer Freunde zur Welt, und sein Vater, einer meiner liebsten und ältesten Freunde, nimmt sich Urlaub. Die beste Freundin von Sarah ist ebenfalls schwanger, wodurch wir eine kleine Clique junger und werdender Eltern darstellen, die sich nahezu täglich trifft.
Auf meinem Konto macht sich langsam bemerkbar, dass mir ein Drittel des Nettogehaltes fehlt, und auch Sarahs finanzielle Situation leidet darunter, statt BA föG nur die deutlich niedrigeren Bezüge vom Jugendamt zu erhalten, doch obwohl uns dadurch knapp tausend Euro monatlich fehlen, sind wir rundum zufrieden.
Schon bald naht jedoch der Tag, an dem Klara zwei Monate alt wird. Langsam, aber sicher müssen wir uns wohl auf das Ende meiner Elternzeit einstellen.
26
Lebenslänglich Lehrer?
A n meinem ersten Arbeitstag klingelt der Wecker unnötig, denn Sarah, Klara und ich sind natürlich längst wach. Im Lehrerzimmer angekommen, werde ich herzlich von meinen Kollegen empfangen. Sie hätten sich sehr über das Foto von Klara gefreut, erklären sie mir, das ich kurz nach ihrer Geburt vorbeigebracht hatte. Auch die Schulleiterin freut sich sehr für mich, teilt mir mit, dass ich die erste Stunde frei habe, und bittet mich in ihr Büro.
»So, Herr Möller, herzlich willkommen zurück!«, beginnt sie gut gelaunt und bietet mir einen Platz an. Dann nimmt sie einen Zettel vom Schreibtisch und fragt mich mit ernster Miene, ob ich bereit sei. Wegen des hohen Krankenstandes im Kollegium, der teilweise bei knapp fünfzig Prozent gelegen habe, habe ein Großteil meiner Stunden ausfallen müssen, und nun habe sie ein Attentat auf mich vor.
Mal schauen, was diesmal kommt. Soll ich mit den Kids vielleicht eine Expedition zum Mond machen? Oder als Schulpsychologe arbeiten? Ist eine Stelle als Konrektor frei? Oder gar als Bundespräsident? Mich schockt hier gar nichts mehr …
Doch ganz so schlimm kommt es nicht. Aufgrund der Schwangerschaft einer Kollegin, für die Frau Juhnke selbstverständlich keine Vertretung einstellen kann, ist der Deutschunterricht in Chrissis Klasse vermehrt ausgefallen. Und weil Chrissi inzwischen auch wieder die Fachbereichsleitung Englisch übernommen hat, hat sie sich die Klassenleitung mit der Deutschlehrerin geteilt.
»Ich soll also zweiter Klassenlehrer und Deutschlehrer in Chrissis Klasse werden, oder was?«, fasse ich ihre langen Ausführungen zusammen.
Sie nickt, und weil eine Hand bekanntlich die andere wäscht, stimme ich sofort zu.
»Aber wenn wir schon dabei sind«, sage ich lächelnd, »ich würde gern noch im nächsten Schuljahr hier arbeiten. Und im übernächsten, und …«
»Sie wollen Lehrer werden?«, unterbricht sie mich.
»Bleiben«, korrigiere ich sie mit einem frechen Lächeln.
Meine Anfrage scheint sie zu freuen. Sie erzählt, dass Tom und sie sich das bereits gedacht und sich daher zuverlässige Informationen zu meinen Weiterbildungsmöglichkeiten besorgt hätten. Und in der Tat: Wenn mein Vertrag nach den kommenden Sommerferien für ein drittes volles Schuljahr verlängert werden sollte, kann ich an einer Fortbildung teilnehmen, die ich mit dem
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