Isegrim
zurück.
Mit zitternden Fingern reiÃe ich das Tütchen auf. Mein Schamgefühl verflüchtigt sich, als ich Oleks schrecklich ernstes Gesicht sehe. Auf einmal ist alles ganz einfach, auch die Sache mit dem Kondom.
Oleks Gesicht schwebt über meinem, seine wilden Haarsträhnen kitzeln mich im Gesicht und meine Hände wandern von seinen Schultern zu seinen schmalen Hüften zwischen meinen Beinen. Alles flattert, mein Herz, die Hände, mein Atem.
»Jola«, flüstert Olek, als er sich in mir bewegt. Nur mein Name, und sein Atem, dem ich folge. Ich verschlieÃe mein Herz vor allen beunruhigenden Gedanken, doch als wir erschöpft nebeneinanderliegen, stellen sie sich wie ungebetene Gäste wieder ein.
»Ist alles gut?«, fragt Olek besorgt.
»Ja. Das war â¦Â«
»Besser?«
Oh ja. »Viel besser.«
»Ich habe gelernt«, bemerkt er, mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.
Ich habâs gewusst. Ich fahre hoch und verschränke die Arme vor meinen nackten Brüsten. Die Gedanken schwirren wie wild gewordene Bienen durch meinen Kopf. Olek hat vielleicht zuvor noch nie ein Kondom benutzt, aber alles in allem hat er ziemlich genau gewusst, wo es langgeht. In Berlin, da war er dreizehn, höchstens vierzehn und dann hat er zwei Jahre bei dieser alten Frau gelebt â falls es stimmt, was er mir erzählt hat.
Wann und wo hat er gelernt? Woher hat er gewusst ⦠Oh Gott, ich spüre, wie mein Gesicht anfängt zu glühen, wenn ich nur daran denke. »Waren es ⦠hast du mit vielen Mädchen geschlafen? Du kannst es mir ruhig sagen, ich komme klar damit.« Erbärmliche Lügnerin.
»Keine Mädchen«, erwidert er, seltsam beschämt.
Oh nein. Jungen. Schlagartig wird mir schlecht. Sie waren vier Jungen in diesem schäbigen Zimmer, von dem er mir erzählt hat. Und sie hatten einen Patron. In meinen Gedanken tun sich bodenlose Abgründe auf.
»Du hast mit ⦠Jungen?« Ich stottere kläglich.
»Jungen?« Auf einmal lacht Olek und langt unter sein Kopfkissen. Er zieht das Buch hervor, in das er vertieft war, als ich kam, und reicht es mir. Im Schummerlicht der Höhle betrachte ich den Titel . Das Kamasutra: Die besten Stellungen von Miranda Bell. »Ein Lehrbuch der erotischen Liebe.« Ich stoÃe einen Seufzer der Erleichterung aus und muss jetzt auch lachen. »Daraus hast du gelernt?«
Treuherziges Nicken.
Neugierig beginne ich zu blättern, betrachte die Abbildungen mit den verschiedenen Stellungen und meine Ohren beginnen zu glühen. »Woher hast du das?«
»Du glaubst nicht, was die Leute alles wegwerfen.«
»Hast du das aus dem Dorf?«
»Ja. Ist schönes Buch. Ist zu schade für Wegwerfen.«
Als ich Oleks Lehrbuch zuklappen will, fällt mir auf der letzten Seite ein Namenszug auf: L. Auerbach . Tante Lotta, wer sonst? Aber hat sie es wirklich weggeworfen?
Ich klappe das Buch zu und gebe es Olek zurück. »Stimmt«, sage ich, »schönes Buch.«
Wir sehen uns an und lächeln. Und auf einmal weià ich, dass alles richtig ist, dass es eine Ordnung gibt für das, was hier passiert. Dass sie vielleicht im Augenblick noch nicht in ihrer ganzen GröÃe erkennbar ist, aber irgendwann wird es so weit sein.
»Es war ⦠erstes Mal.« Oleks Hände klammern sich an das Buch.
»Im Wald? Das war dein erstes Mal?«
Er nickt. Windet sich vor Verlegenheit und ich schäme mich. Schäme mich für alles, was ich gedacht oder getan habe.
»Es tut mir leid, Olek. Können wir es einfach vergessen?«
Bestürzt schaut er mich an. »Du wollen, dass ich meine erstes Mal vergesse?«
»Ja ⦠nein.« Ich bin so unendlich erleichtert. Beuge mich zu Olek und küsse ihn. Es soll ein Abschiedskuss sein, denn wenn ich rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein will, muss ich los.
Doch Olek deutet meinen Kuss anders. Er öffnet das Buch, schlägt zielsicher eine Seite mit Eselsohr auf und zeigt auf die Abbildung. Der Mann liegt auf dem Rücken und die Frau sitzt auf ihm, seine Hände umfangen ihre Brüste.
Na toll, denke ich, doch bevor er zur Tat schreiten kann, sage ich fröhlich: »Das nächste Mal, okay? Jetzt muss ich nach Hause, meine Mutter wartet mit dem Essen.«
21. Kapitel
D ie letzten beiden Schultage vor den Ferien scheinen um Stunden längere Vormittage zu haben als normale Tage. Am Freitag klettert die
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