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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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über sein Leben vor seinem Jäger- und Sammlerdasein auf dem Truppenübungsplatz. Er war ein Straßendieb in Berlin, ihm kann dort alles Mögliche wiederfahren sein. Furchtbare Dinge, die vielleicht sein merkwürdiges Verhalten erklären.
    In einem Winkel meines Herzens weiß ich, dass Olek mir nicht die ganze Wahrheit erzählt hat, dass da noch etwas kauert, etwas, das er weggesperrt hat, weil es zu wehtut. Etwas, das immer in seinem Blick lauert, selbst wenn er lächelt. Aber ich spüre auch, dass nichts die warme Flamme löschen kann, die in mir für ihn brennt. Nicht einmal das, was gerade geschehen ist. Ich liebe Olek.
    Und ich bin stinkwütend auf ihn.
    Meine Rechte fördert das Kondom aus meiner Hosentasche zutage und ich halte es ihm vorwurfsvoll unter die Nase. Völlig verwirrt schaut er auf das flache, viereckige Päckchen und dann wieder in mein Gesicht.
    Â»Weißt du, wozu diese Dinger gut sind?«
    Olek schließt die Augen. »Jola«, stöhnt er. »Ich … es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Aber du …« Er reibt sich mit den Händen über das Gesicht und schüttelt den Kopf.
    Â»Ja, schon gut, ich gebe zu, das war nicht fair von mir.« Ich schiebe das Päckchen in die Tasche zurück, greife nach Oleks Handgelenken und ziehe ihm die Hände vom Gesicht. »Aber du, du gehst Berührungen immer aus dem Weg und ich dachte, du bist einfach nur schüchtern. Auf einmal warst du so nah und ich … ich …«
    Olek schlingt seine Arme um meinen Körper und umarmt mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme.
    Â»He, du erdrückst mich.«
    Er löst seine Umklammerung, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Es sind kleine Küsse, kurz und sanft, wie warme Regentropfen. Er küsst meine Wangen, die Nase, die Augenlider, die Schläfen. Ich lehne mich gegen ihn und spüre, was diese Küsse erneut mit ihm anrichten.
    Auf einmal fühle ich mich überfordert. Ich stemme meine Handflächen gegen seine Brust und halte ihn auf Abstand.
    Panik sammelt sich in Oleks Gesicht. »Jetzt hasst du mich.«
    Â»Nein«, sage ich. »Nein, ich hasse dich nicht. Ich frage mich nur …«
    Â»Was, Jola? Was fragst du dich? Ob ich ein kaputter, wie sagt man … Spinner bin?«
    Â»Nein. Aber ich dachte, du magst mich. Und du musst doch schon lange gemerkt haben, dass ich dich auch mag.«
    Â»Ich habe gemerkt, Jola. Natürlich habe ich gemerkt. Aber ich hatte Angst.«
    Â»Angst? Vor mir?«
    Â»Angst vor … Berührungen.« Oleks Akzent kommt so stark zum Vorschein, dass er kein vernünftiges Wort mehr zustande bringt. Seine Lippen zittern, er stöhnt und stammelt etwas auf Polnisch. Anscheinend fehlen ihm die deutschen Worte, um mir verständlich zu machen, was ihn quält.
    Ein Teil von mir möchte ihn umarmen und ihm versichern, dass man vor Berührungen keine Angst haben muss, dass sie etwas Schönes sind und die Einsamkeit verjagen können. Doch etwas in Oleks Augen hält mich zurück und lässt mich frösteln.
    Â»Ich muss jetzt nach Hause, es ist schon spät.«
    Â»Geh jetzt nicht weg, Jola. Prosze!«
    Aber ich bin schon auf dem Weg. »Ich komme wieder.«
    Â»Jola.«
    Du machst mir Angst, Olek. Ich liebe dich, Olek. Du machst mir Angst. Ich liebe dich. Olek.
    Den Rest des Tages laufe ich herum wie ein begossener Pudel, und als Ma mich fragt, was los ist, sage ich, ich hätte meine Tage und würde mich nicht gut fühlen. Letzteres ist nicht gelogen. Ich habe schlichtweg Angst. Ich nehme zwar die Pille (doppelt hält besser, da waren Kai und ich uns einig), aber die schützt bekanntlich nicht vor all den fiesen Sachen, die man sich sonst noch so einhandeln kann, wenn man ungeschützten Sex mit einem Fremden hat.
    Ich muss mit Olek reden. Er muss mir die Wahrheit sagen. Wenn da in Berlin noch andere Sachen gelaufen sind als Straßendiebereien, dann …. Verdammt, verdammt, verdammt.
    Am Montagmorgen ist der Himmel wolkenverhangen, als ich mittags aus der Schule komme, regnet es in Strömen. Ich bin wütend auf Olek, dass er mich in diese bescheuerte Situation gebracht hat, aber ich fühle mich auch nicht ganz unschuldig daran. Ich brauche Zeit, um damit klarzukommen. Der Regen ist eine willkommene Ausrede mir selbst gegenüber, um das Gespräch mit Olek noch ein wenig hinauszuschieben.
    Am Tag darauf wird es

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