Isegrim
Sammy ab und zu ein Krümelchen abbekommt.
Kai beugt seinen Kopf herüber und gibt mir einen schnellen Kuss, wie ein Tier, das nach seiner Beute schnappt.
»Seid ihr jetzt ein richtiges Liebespaar?«, fragt Elli mit vollem Mund.
»Ja«, antwortet Kai, »Jola und ich sind ein richtiges Liebespaar.« Er wirft mir einen spöttisch fragenden Blick zu. »Das sind wir doch, oder?«
»Na klar.«
»Aber wenn ihr ein richtiges Liebespaar seid, dann war das kein richtiger Kuss. Liebespaare küssen mit der Zunge.«
Mist!
Saskia gibt ein leises Schnauben von sich. Sie grinst in sich hinein.
»Tja«, meint Kai, »wenn das so ist, dann werden wir dir auf der Stelle beweisen, dass wir ein richtiges Liebespaar sind.« Er beugt sich über Elli hinweg und küsst mich, dass mir Hören und Sehen vergeht. Ich versteife mich, kann an nichts anderes denken als daran, dass Olek vielleicht wieder irgendwo in einem Versteck sitzt und uns beobachtet.
Elli zieht die Schultern hoch und kichert wie ein kleiner Gnom. Saskia klatscht und von einigen Leuten auf den umliegenden Decken und Handtüchern kommen Pfiffe.
Ich kann es nicht verhindern, dass ich rot anlaufe. Es ist die Schamesröte, die mir ins Gesicht steigt. Du musst es ihm sagen, Jola. Du musst es ihm endlich sagen, dass du nicht mehr von ihm geküsst und berührt werden willst. Weil es nicht funktioniert mit dem Liebespaar. Weil er dein Freund ist und nur das.
Saskia stöÃt mir ihren Ellenbogen in die Rippen. »Guck mal, da drüben.« Sie zeigt mit der Nase auf die gegenüberliegende Seeseite. Auf einem winzigen Handtuch sitzt Hubert Trefflich und hat ein Fernglas vor dem Gesicht, mit dem er ungeniert die Mädchen in ihren knappen Bikinis beobachtet.
»Dieser dämliche Spanner«, sage ich.
Saskia steht auf und lässt vor Trefflichs Fernglas provokant die Hüften kreisen.
Als wir später zu dritt nach Hause laufen, macht Elli schon nach hundert Metern schlapp und Kai muss sie auf seinen Schultern den Berg hinauftragen. Sie zappelt und plappert und drückt ihm immer wieder fast die Luft ab. Am Dorfeingang setzt Kai Elli ab und sie hüpft los wie aufgezogen.
Rudi Grimmer steht mit Pinsel und einem Eimer Farbe am Zaun, als wir im Anmarsch sind. Er sieht auf, glättet seine fettigen Haarsträhnen auf der Halbglatze und brummt auf unseren Gruà hin eine vage Erwiderung.
Kaum ist Elli an ihm vorbei, dreht sie sich um, zieht eine Grimasse und streckt die Zunge raus. Leider hat Grimmer es gesehen. »He, du kleine Hexe, was soll denn das?«
»Tut mir leid«, entschuldigt sich Kai, »sie hat es nicht so gemeint. Sie ist eine GroÃstadtgöre«, sagt er achselzuckend, als ob das alles erklärt.
»Na dann wird es Zeit, dass ihr jemand ein bisschen Benehmen beibringt«, poltert Grimmer hinter uns her.
Plötzlich schieÃt Biene aus dem offenen Gartentor. Laut bellend rast sie auf Elli zu, die stocksteif und mit hochgezogenen Schultern stehen bleibt.
»Biene, aus«, ruft Grimmer scharf. Die Hündin zieht winselnd den Schwanz ein, sie trottet zurück zu ihrem Herrchen und setzt sich brav ins Gartentor.
Kai schnappt sich Elli und wir laufen an der groÃen schwarzen Schäferhündin vorbei. »Wird Zeit, dass Sie Biene ein bisschen Benehmen beibringen«, rufe ich, als wir ein paar Meter entfernt sind.
Grimmer schüttelt den Kopf und winkt ab.
»Arschloch«, zischt Kai.
»Das A-Wort sagt man nicht.« Elli ist aus ihrer Erstarrung erwacht.
»Man streckt auch nicht fremden Leuten die Zunge raus«, entgegnet Kai.
»Er hat mich so blöd angeguckt, der Mann.«
Kai schnaubt ärgerlich. »Du hast sie ja nicht mehr alle. Wir sind hier auf dem Dorf, Mücke, da gucken alle blöd, wenn sie so ein Mädchen wie dich sehen.«
Elli befreit ihre Hand aus Kais, streckt ihm die Zunge raus und hüpft davon.
Kai macht ein so verdutztes Gesicht, dass ich laut loslachen muss. Und schlieÃlich lacht auch Kai.
22. Kapitel
A m Samstagmorgen passiert das, was ich schon lange befürchtet habe: Eines von Hagen Neumanns schwarzköpfigen Schafen liegt tot und angefressen auf der Wiese zwischen Waldrand und Haus.
Clemensâ Vater holt Pa noch vor dem Frühstück, damit er sich den Kadaver ansehen kann. Ich war am Abend zuvor noch lange bei Saskia, weil sie heute mit ihren Eltern und Max in den Urlaub nach Südfrankreich fährt
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