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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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mich nicht so erschrecken.«
    Ich will an ihm vorbei, aber er weicht nicht von der Stelle.
    Â»Du hast es gewusst, nicht wahr?« Angriffslustig sieht er mich an. »Der Wolf ist der Grund, warum du keine Zeit mehr für mich hast. Wegen diesem dämlichen Wolf bist du andauernd da draußen auf dem Truppenübungsplatz. Du läufst doch schon seit Wochen im Rotkäppchenmodus.«
    Rotkäppchenmodus? Schließlich nicke ich.
    Â»Scheiße, Jola. Warum hast du mir denn nichts gesagt? Hast du gedacht, ich kann nicht dichthalten?«
    Â»Hättest du denn? Dein Vater ist der Schafkönig von Altenwinkel. Er wird als Erstes nach dem Jäger schreien.«
    Â»Ach – und statt uns zu warnen, hast du lieber abgewartet, bis dein vierbeiniger Freund die ersten Schafe reißt. Vielleicht merkt es ja keiner. Du hast sie ja nicht mehr alle, Jola.«
    Â»Ich dachte, vielleicht begnügt sie sich mit Rehen, Wildschweinen und Mäusen.«
    Â»Offensichtlich tut er das nicht.«
    Â»Nein, leider nicht. Aber es gibt gute Möglichkeiten, wie man die Schafe schützen kann. Wolfssichere Zäune, zum Beispiel, oder …«
    Â»Ach, halt den Mund, Jola«, unterbricht er mich, »ich will es gar nicht wissen. Davon hättest du uns erzählen sollen, bevor die ersten Schafe halb aufgefressen auf der Weide liegen. Jetzt hat die Bestie Blut geleckt.«
    Die Bestie? Ich sehe Kai mit großen Augen an.
    Â»Ist doch wahr.«
    Â»Nein, das ist großer Unsinn, Kai. Eine frei lebende Wölfin in unserem Wald, du kapierst einfach nicht, wie sensationell das ist. Sie ist von alleine gekommen und geblieben, weil sie hier alles hat, was sie braucht.«
    Â»Sie?«, fragt Kai mit gerunzelter Stirn. »Hast du eben Wölfin gesagt? Woher weißt du das, Jola? Erzähl mir nicht, dass … gibt es etwa …?«
    Â»Nachwuchs, ja.« Verflixt, jetzt ist es raus. Kai klappt der Mund auf, ein paar Sekunden lang sagt er nichts.
    Â»Oh Mist, das glaub ich nicht.«
    Â»Doch, Kai. Ich habe die Welpen mit eigenen Augen gesehen. Besser, dein Vater informiert sich, wie er seine Herde schützen kann. Er soll sich Herdenschutzhunde anschaffen, aber erst einmal tut es auch ein Litzenzaun.«
    Â»Vielleicht tut’s auch ein Gewehr. Kommt bestimmt billiger.«
    Â»Das meinst du nicht wirklich, oder?«
    Kai hebt in einer verzweifelten Geste die Hände. »Ich weiß nicht mehr, was ich meinen soll, Jola.«
    Â»Bitte behalte das Ganze vorerst für dich. Ich bin ohnehin in Ungnade gefallen im Dorf, aber wenn sie erfahren, dass ich von der Wölfin wusste, dann …« Resigniert schüttele ich den Kopf.
    Â»Warum sollte ich das tun?«
    Â»Weil du mein Freund bist. Lass mich jetzt bitte nicht im Stich, Kai.«
    Â»Ach, Scheiße, du benutzt mich doch nur.«
    Â»Nein, ich benutze dich nicht, ich brauche dich.« Ich brauche dich als das, was du immer warst: als meinen besten Freund.
    Kai starrt mich noch einen Augenblick lang an. Dann macht er kehrt und geht.
    Noch am selben Abend posaunt Trefflich seine Entdeckung im »Jägerhof« heraus. Am nächsten Vormittag, als ich mit dem Rad zum Dorfladen fahre, weil Ma ein paar Lebensmittel braucht, sind die Straßen von Altenwinkel wie ausgestorben, als hätte eine tödliche Seuche grassiert.
    Obwohl es ein herrlicher, wolkenloser Sommertag ist, sitzt niemand auf den Bänken, der kleine Spielplatz am Anger ist verwaist, kein Kind hüpft über die Himmel-und-Hölle-Kästchen auf dem Asphalt und die Leute kommen mit ihren Autos zum Dorfladen gefahren, selbst wenn sie nur drei Schritte um die Ecke wohnen.
    Die Angst geht um in Altenwinkel. Die Angst vorm Bösen Wolf.
    Als ich mich später heimlich in den Wald verdrücken will, kommt mir mein Vater in die Quere. »Wo willst du hin, Jola?«
    Â»Zum Badesee.«
    Pa reibt sich das Kinn, nachdenklich betrachtet er meinen kleinen Rucksack. »Komm mal mit.« Murrend lehne ich mein Rad an die Schuppenwand und folge ihm in sein Büro. »Setz dich.«
    Mein Vater setzt sich hinter seinen Schreibtisch und ich nehme auf dem Besucherstuhl Platz. Ein Haufen Broschüren liegt vor ihm. Das Telefon beginnt zu läuten, aber er geht nicht dran.
    Â»Du wusstest von dem Wolf, oder?«
    Â»Ja.« Ich nicke.
    Â»Du hättest das ganze Chaos verhindern können, wenn du mir davon erzählt hättest, Jola. Warum, Herrgott noch mal, hast du

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