Isegrim
keine Kontrolle mehr über die Dinge habe, dass ich das, was geschieht, geschehen lassen muss.
Das Wasser glitzert in der Sonne, die Hitze macht unsere Körper und unsere Gedanken träge. Wir schwimmen zusammen, versinken in Küssen und weben unser unvergängliches Muster für diesen Tag.
Die nächsten vier Vormittage verbringen Olek und ich am See. Es hat schon seit zwei Wochen nicht mehr geregnet und das Ufergras beginnt, in der Hitze zu verdorren.
Von Olek erfahre ich, dass Kai und sein Vater nachts Wache bei den Schafen halten. Offenbar verschläft Kai dann den Tag, denn ich habe ihn noch nicht wiedergesehen. Um zum See zu kommen, benutze ich nur noch den Gartenweg und schleiche mich durch den Wald aus dem Dorf.
Einmal erwischt mich Elli, die am hinteren Zaun ihrer GroÃeltern steht und Gartenhimbeeren pflückt.
»Jola«, ruft sie. »Fährst du zum See?«
»Hallo, Elli ⦠ja, aber ich will nur schnell schwimmen und nicht lange bleiben.« Nicht mehr zu lügen, wenn es einem so in Fleisch und Blut übergegangen ist wie mir, ist gar nicht leicht.
»Kann ich mitkommen? Mir ist soooo heiÃ.«
Auf einmal taucht Kais Mutter hinter den Blättern auf. »Elli, ich habe dir doch gesagt, dass es gefährlich ist am See, solange ein hungriger Wolf da drauÃen herumläuft. Du weiÃt doch, was er mit Opas Schafen gemacht hat.«
»Aber Jola fährt auch zum See, warum wird sie nicht vom Wolf gefressen?«
»Weil ⦠weil â¦Â«
»Weil ich viel zu groà und zu zäh bin für den Wolf, Elli«, sage ich und fahre weiter.
Was mich verwundert, ist, dass die Presse bisher noch keinen Wind von den toten Schafen und der Wölfin bekommen hat. Ich hatte angenommen, dass Kais Vater sofort bei der Zeitung anrufen würde, um brühwarm vom Wolfsangriff zu berichten. Aber nichts dergleichen geschieht, keine reiÃerischen Schlagzeilen. Das macht mich stutzig. Es ist sehr viel einfacher, einen totgeschwiegenen Wolf heimlich abzuknallen als einen, der bereits Schlagzeilen gemacht hat.
24. Kapitel
A m Samstagabend ist der Schankraum des »Jägerhofs« brechend voll, als ich zusammen mit Pa dort eintreffe. Die Plätze an den Tischen sind alle besetzt, Kevin ist dabei, noch Stühle aus dem kleinen Saal hereinzuholen. Pa trägt seine Försterkluft, wohl in der Hoffnung, dass das den Leuten ein Quäntchen Respekt abringt.
Die Luft in der Kneipe ist jetzt schon stickig, deshalb suche ich mir einen Stehplatz an der holzvertäfelten Wand zwischen zwei offenen Fenstern. Mein Blick gleitet über die Gesichter der Versammelten. Ungefähr sechzig Leute sind gekommen, mehr als zwei Drittel davon sind Dorfbewohner. Ich erkenne ein paar Leute aus Eulenbach und überraschenderweise sind auch fremde Gesichter dabei. Wolfsfreunde oder Wolfshasser, das wird sich bald zeigen.
Ich sehe Kai (er schaut demonstrativ in eine andere Richtung) und seinen Vater, Hagen und Sabine Neumann â sogar Clemens ist gekommen. Die Alten aus dem Dorf haben sich an zwei Tischen versammelt, unter ihnen Willi Schlotter, Achim Roland, Tonia Neumeister, Erna Euchler und Kais Oma Ruth. Die Grimmer-Brüder sitzen an einem Tisch mit Hubert Trefflich und dem Pfarrer. Auch einige jüngere Ehepaare aus dem Dorf haben den Weg ins Wirtshaus gefunden, darunter Alinas Vater mit Frau Caroline und die Frau aus dem Ferienhaus mit ihrer ältesten Tochter.
Als Tobias Zacke den Schankraum betritt, ebbt das Stimmengewirr für einen Moment ab, aber gleich darauf schwillt es wieder an. Tobias Zacke aus dem Mörderhaus ist heute nicht das Thema. Sein Blick streift durch den Raum. Clemens und er grüÃen sich mit den Augen. Als Tobias mich entdeckt, winke ich ihm lächelnd zu. Er bahnt sich einen Weg zu mir.
»Hi!« Tobias neben mir zu haben, fühlt sich besser an, als allein zu stehen.
Er neigt seinen Kopf in meine Richtung. »Wenn ich gewusst hätte, dass eine Wölfin im Wald ihre Welpen aufzieht«, raunt er, »dann wären wir dort natürlich nicht mehr rumgecrosst.«
Na toll, das ist mal wieder typisch. Ãdlandschrecken und seltene Vögel zählen nicht. Aber ein Wolf â wow, das ist natürlich etwas ganz anders. Dennoch: Von nun an zähle ich jeden, der dem Gedanken an ein Wolfsrudel in unserem Wald etwas Positives abringen kann, zu meinen Kumpeln.
»Dann habt ihr damit aufgehört?«
»Ja, klar.«
Als Pa um
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