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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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was ich gleich erledige. Er macht noch ein paar kleine Korrekturen, dann druckt er zwanzig Exemplare aus, von denen ich jeweils zehn in Altenwinkel und Eulenbach an Lichtmasten und Aushangtafeln anbringen soll. Am nächsten Morgen radele ich ins Nachbardorf, dort ist der Job schnell erledigt.
    Zurück in Altenwinkel, fahre ich zuerst zum »Jägerhof« und bitte Kevin, der mir über den Weg läuft, eine Einladung im glasgeschützten Aushang neben dem Kneipeneingang anzubringen. Kevin ist sofort dazu bereit. Der Infoabend wird seinem Vater ein volles Haus bescheren.
    Â»Und du hast den Wolf wirklich gesehen?«
    Ich merke, dass er bald vor Neugier platzt. »Ja, habe ich.«
    Â»Das ist echt krass.« Bewunderung in seinen Augen. »Hattest du denn gar keine Angst?«
    Â»Nein, Kevin. Gar keine. Wölfe bedeuten keine Gefahr für Menschen. Aber das wird mein Vater am Samstag alles genau erzählen.« Ich deute auf die Einladung.
    Â»Hoffentlich kommen viele.« Kevin ist so offensichtlich um Freundlichkeit bemüht, dass ich lächeln muss.
    Â»Ja, das hoffe ich auch.«
    Â»Tschau, Jola.«
    Â»Bis dann.«
    Vor dem Dorfladen stehen Kais Oma Ruth, Erna Euchler und Tonia Neumeister zusammen und schnattern laut wie Elstern. Ich grüße und bringe die Einladung am Infobrett an. Sofort stehen sie neben mir und recken die Hälse. »Neuer Nachbar Wolf – pah«, keift Kais Oma. »Wir brauchen keinen Nachbarn, der unsere Schafe reißt.«
    Â»Wenn die Bestie sich das erste Kind gegriffen hat, gibt’s dann auch einen Infoabend?«, fragt die Euchler bissig.
    Â»Kommen Sie doch am Samstag in den ›Jägerhof‹, mein Vater wird dort alle Fragen beantworten.«
    Ich radele weiter und verteile die verbliebenen Einladungen. Ich bin selbst gespannt, ob Leute kommen werden oder ob die Dorfbewohner die Veranstaltung aus Protest sabotieren.
    Am Nachmittag fahre ich an den Badesee, an dem nur wenige Leute auf ihren Decken und Handtüchern liegen, obwohl es wieder ein drückend heißer Tag ist. Die Familie mit den drei Kindern ist neu in Altenwinkel, sie wohnt zurzeit in der Ferienwohnung von Färbers. Städter, die vermutlich glauben, die Geschichte vom Wolf ist ein Werbegag des Bürgermeisters, um Urlauber anzulocken. Auch die anderen Leute sind Ortsfremde.
    Wenn es nicht so absurd wäre, würde ich darüber lachen: Die Altenwinkler haben tatsächlich Angst, der böse Wolf könne sie sich am helllichten Tag von ihrem Badehandtuch schnappen.
    Ich schwimme ein paar Runden im erfrischenden Wasser, dann lege ich mich in den Halbschatten einer jungen Birke auf den Bauch und schreibe Tagebuch – etwas, das ich schon lange nicht mehr getan habe. Ich schreibe von meiner brennenden Sehnsucht, Olek zu spüren. Von den Gedanken, die dem kommenden Tagen vorauseilen und verschiedene Szenarien entwerfen. Ich habe keine Ahnung, was passieren wird.
    Aber Gedanken sind auch Energie. Diese Energie versuche ich zu bündeln und hoffe, das schillernde Gewebe der Zeit mit der Kraft meiner Gedanken zu beeinflussen.
    Als Wasser auf meinen Rücken tropft, fahre ich mit einem Aufschrei herum. Es ist Olek, der seine Haare schüttelt wie ein nasser Hund und sich neben mich setzt, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
    Â»Bist du verrückt geworden?« Sofort schnellt mein besorgter Blick zu den anderen Badegästen, aber niemand zeigt besonderes Interesse an dem fremden Jungen.
    Â»Du bist nicht gekommen.«
    Â»Mein Vater, er hat es mir verboten. Er sagt, Leute könnten versuchen, die Wölfin zu erschießen. Er hat Angst um mich.«
    Olek sitzt wie immer im Schneidersitz, die Unterarme auf seine Oberschenkel gelegt. Wasser perlt aus seinen Haaren und rinnt über seinen mageren braunen Körper. Haben meine Gedanken ihn herbeigerufen? Ich rücke ein Stück näher an ihn heran und lehne meinen Kopf an seine Schulter.
    Â»Ich wünschte, sie hätten mehr Zeit gehabt, bevor sie entdeckt werden«, sagt er. »Die Jungwölfe sind noch so neugierig.«
    Ich erzähle Olek von dem geplanten Infoabend am Samstag und welche Hoffnung ich darauf setze.
    Und dann höre ich auf zu denken, verbiete mir, mich weiter zu sorgen, dass uns jemand zusammen sehen könnte, und genieße einfach nur diesen heißen Julinachmittag mit Olek am See. Seit die Wölfin die Schafe gerissen hat, weiß ich, dass ich

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