Isegrim
dunkelrot gebrannten Ziegeln hat Lotta zur Töpferwerkstatt mit einem Schaufenster umfunktioniert. Vor der blauen Haustür und dem Eingang zur Werkstatt stehen zahllose Topf- und Kübelpflanzen, unter anderem mehrere groÃe Oleanderbüsche. Die Keramiktöpfe sind von Lotta und sehen, wie ihr Inhalt, ziemlich exotisch aus. Mediterran, wie meine Tante mit einem Augenzwinkern zu sagen pflegt.
Nach dem tragischen Tod meiner GroÃeltern in der Türkei (sie starben, als ich zwei Jahre alt war) hat meine Uroma Hermine bis zu ihrem Tod ganz alleine in diesem Haus gewohnt. Vor vier Jahren ist Tante Lotta nach Altenwinkel zurückgekehrt, hat das Häuschen nach und nach renoviert und die Töpferwerkstatt eingerichtet.
»Unverbesserliche Optimistin«, hat Ma sie damals genannt. »Wer soll denn hierher in dieses gottverlassene Nest kommen, um verrückte Keramik zu kaufen?«
Meine schöne Tante war eine Weltreisende, bis sie in ihrem Heimatdorf sesshaft wurde. Im Jahr der Wende war sie sechzehn â so alt wie ich jetzt. Sie beendete ihre Lehre bei einem Bürgeler Töpfermeister, und als sie volljährig wurde, ging sie nach Kreta, um bei einem griechischen Töpfer neue Brenn- und Glasurtechniken zu lernen. Ich habe Ma einmal etwas abfällig und neidisch zugleich zu meinem Vater sagen hören, dass Tante Lotta bei diesem Nikos wohl nicht nur Glasurtechniken gelernt hat.
Von Kreta ging es weiter nach Nordafrika, später nach Frankreich, von dort nach Spanien und zuletzt hat meine Tante auf der Kanareninsel La Gomera gelebt. Dementsprechend ausgeflippt sind ihre Keramiken, die sie in ihrem winzigen Laden und auf Märkten zum Verkauf anbietet. Urige Formen, dickwandige Ãbertöpfe und Schüsseln, die in wilden Mustern die Farben des Südens und des Meeres tragen. Ziemlich exotisch für ein Dorf wie Altenwinkel, da muss ich Ma allerdings recht geben.
Wer in Lotta Auerbachs Einfahrt tritt, der kommt sich vor wie in Südfrankreich und nicht wie am Rand des Thüringer Waldes. Was für die Dorfbewohner ausreicht, um das Tun meiner Tante stets mit einem verständnislosen Kopfschütteln zu kommentieren. Wäre sie eine Zugezogene, hätte sie in Altenwinkel von vorneherein keine Chance gehabt. Aber Lotta ist hier aufgewachsen und eine verrückte Einheimische ist den Dorfbewohnern dreimal lieber als jeder Fremde.
Auf dem Hof vor der Werkstatt parkt nur der sonnengelbe Van meiner Tante, mit schwarzen und roten Handabdrücken auf dem Lack und dem Schriftzug Sonnenkeramik von Lotta Auerbach.
Lotta lächelt erfreut, als ich den Kopf in ihre gemütliche Küche mit den (mediterranen) Terrakottafliesen stecke, wo sie mit nachlässig hochgestecktem Haar und in tonverschmierten Klamotten am Holztisch sitzt. Vor sich ein angebissenes Knäckebrot, ein Schüsselchen selbst gemachter Joghurt und einen Keramikbecher mit Kaffee. Meine Tante lebt allein, deswegen kocht sie nur selten eines ihrer köstlichen vegetarischen Gerichte, für die ich sie ganz besonders liebe.
»Jola«, sagt sie, »wie schön, dass du reinschaust. Und wie hübsch du aussiehst.«
Ich blicke an mir herunter. Verwaschene Jeans mit ausgefransten Löchern, ein flaschengrünes T-Shirt, weinrote Allstars, die ziemlich fleckig sind. Nichts Besonderes. Ich mache keinen Sums um Kleidung, schere mich wenig um Mode oder irgendwelche Trends, besitze aber durchaus ein paar Lieblingsklamotten. Und die trage ich gerade. Ich muss lächeln, weil ich mich nach Lottas BegrüÃung gleich viel hübscher fühle.
So ist meine Tante. Sie sagt immer das Richtige.
»Auch ein Knäckebrot und einen Kaffee?«
Ich weiÃ, dass Ma irgendetwas Fleischloses gekocht hat und auf mich wartet â so wie sie es immer tut. Ich musste ihr versprechen, rechtzeitig anzurufen, wenn ich den späteren Bus nehme, was durch unsere Arbeit am Spurensuche-Projekt in den letzten Wochen häufig vorkam. Nur, wenn ich Ma jetzt anrufe und ihr sage, dass ich bei Tante Lotta Knäckebrot esse und Kaffee trinke, wird sie das mit Sicherheit kränken.
»Okay.« Ich setze mich und rufe meine Mutter an, erzähle ihr, dass ich mit dem späteren Bus komme. Das schlechte Gewissen nagt an mir, während ich sie vor meinem geistigen Auge allein am Tisch sitzen sehe mit dem fertigen Mittagessen, extra fleischlos für mich. Mein Vater wollte heute Vormittag nach Erfurt fahren, um sich mit einer
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