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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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nächsten Mal wird es besser. Übung macht den Meister.«
    Ich gebe einen Seufzer von mir. Kais und mein erstes Mal liegt jetzt drei Wochen zurück und seitdem hat er kaum noch etwas anderes im Kopf, als das Ganze zu wiederholen. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob ich das überhaupt will. Vielleicht sollte man einfach nicht mit einem Jungen schlafen, der jahrelang wie ein Bruder für einen war und diese Rolle perfekt ausgefüllt hat.
    Tante Lotta, die nur selten ein Blatt vor den Mund nimmt, offenbart mir im Anschluss noch ein paar Dinge über Sex, die ich lieber nicht gewusst hätte und die mich beinahe das Kauen vergessen lassen. Na wunderbar, Tante Lotta, das macht es für mich nicht leichter.
    Viertel vor vier, kurz bevor der zweite Schulbus die letzten Schüler nach Altenwinkel bringt, verabschiede ich mich von ihr und mache mich auf den Heimweg, denn ich will Kai nicht begegnen, der mit seinen Eltern und seiner Oma Ruth ebenfalls am Anfang der Dorfstraße wohnt, nur einen Steinwurf von Lotta entfernt.
    Mit forschen Schritten trabe ich am offenen Hoftor der Hartungs vorbei. Ein großes Schild weist auf die Öffnungszeiten ihres Hofladens hin, die hohe Ligusterhecke ist akkurat geschnitten.
    Ich bin fast da. Auf dem Betonpflaster in der Einfahrt vor dem Haus der Merbachs zieht Lasse mit seinem quietschenden Dreirad seine Kreise. Der Kleine hat ungeheure Ähnlichkeit mit Alina, aber seine Locken sind dunkelbraun und nicht blond.
    Alinas Eltern trennten sich ein paar Monate nach ihrem Verschwinden und ihre Mutter zog nach Erfurt. Sie ertrug es nicht, dort wohnen zu bleiben, wo man ihrem Kind Schreckliches angetan hat. Karsten Merbach blieb. Er will da sein, wenn man die sterblichen Überreste seiner Tochter eines Tages findet, etwas, woran er felsenfest glaubt. Inzwischen lebt er mit seiner neuen Frau Caroline zusammen und die beiden haben einen dreijährigen Sohn – Lasse.
    Am Ende der Straße biege ich in unsere Einfahrt. Das Tor ist offen, erleichtert stelle ich fest, dass der silberne Jeep meines Vaters nicht im Carport steht. Ich schließe die Haustür auf, entledige mich meiner Schuhe und werfe einen Blick in die Küche, wo mein unbenutzter Teller noch auf dem Esstisch steht – wie ein stummer Vorwurf.
    Ich gehe zum Herd und hebe den Deckel vom Kochtopf. Fleischlose Bohnensuppe, sie ist noch warm. Rasch nehme ich ein paar Löffel und werfe einen Blick ins Wohnzimmer, aber da ist Ma auch nicht. Vermutlich hat sie sich wieder in ihrem Arbeitszimmer eingeschlossen. Das macht sie in letzter Zeit häufig, meistens dann, wenn sie enttäuscht ist oder zu lange allein im Haus.
    Wie so oft wünsche ich mir, ich hätte eine Schwester oder einen Bruder, dann würde sich nicht alles auf mich konzentrieren.
    Oben in ihrem Schreibzimmer fühlt Ma sich am sichersten. Vom Fenster über ihrem Schreibtisch hat sie einen Blick auf die gepflasterte Hofeinfahrt, auf die Straße und auf den Lindenbaum vor dem Haus von Erna Euchler, einer alten Bäuerin, bei der ich immer frische Eier hole.
    Ich lege die Stirn an Mas Zimmertür und klopfe leise. »Mami?«
    Bis ich zwölf war, habe ich »Mami« zu meiner Mutter gesagt. Dann habe ich das -mi am Ende einfach weggelassen. Ma klingt viel erwachsener und schafft Abstand. Doch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, oder mir Sorgen um meine Mutter mache, dann kommt das »Mami« noch hin und wieder über meine Lippen.
    Vorsichtig drücke ich die Klinke herunter, doch wie vermutet ist von innen abgeschlossen und Ma antwortet nicht. Wahrscheinlich schläft sie, zugedröhnt von Pillen. Wenn sie Tavor genommen hat, dann ist sie immer vollkommen weg. Ich habe das Medikament mal gegoogelt und herausgefunden, dass es abhängig macht. Willkommen in der großartigen Welt der Psychopharmaka.
    Achselzuckend gebe ich auf und tappe den Flur entlang, um auf die Toilette zu gehen. In meinem Zimmer pfeffere ich die Schultasche in die Ecke, ziehe mich um und schnappe mir meinen schwarzen Rucksack mit dem Fernglas, der Wasserflasche und den Müsliriegeln.
    Bin unterwegs und zum Abendessen zurück, Jola, schreibe ich auf einen Zettel, den ich gut sichtbar unten auf den Küchentisch lege.

4. Kapitel
    I ch umrunde das Haus, hole mein Fahrrad aus dem Schuppen und schiebe es über den schmalen, mit alten Backsteinen gepflasterten Weg durch unseren Obstgarten bis zur Tür am hinteren Ende unseres

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