Isegrim
mein,
wann wollen wir wieder beisammen sein?
Du hast mich vergessen, meine Zimtprinzessin. Er steht mitten im Raum. Die Augen geschlossen und mit geballten Fäusten, kämpft er gegen das dunkle Gefühl in seinem Inneren an, das über ihm zusammenschlägt. Vergiss mein nicht. Aber wie soll ich dich finden, wenn du dich vor mir versteckst?
Laurentia, liebe Laurentia mein,
wann wollen wir wieder beisammen sein?
Am Donnerstag!
Ach, wenn es doch endlich schon Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag wär
und ich bei meiner Laurentia wär, Laurentia!
8. Kapitel
G egen halb fünf bin ich auf den Beinen. Die Vogeluhr hat mich geweckt. Ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang beginnt das Rotkehlchen zu singen, ein schnelles ZikZikZik . Wenig später setzt der Amselgesang mit seinen melodiösen Strophen ein, es folgen Kohlmeise, Zilpzalp und Buchfink und zuletzt der Hahn von der Eier-Euchler.
Ich schleiche mich nach unten in die Küche, esse schnell ein Butterbrot im Stehen und trinke einen Schluck kalte Milch. Während meine Eltern noch friedlich schlafen, breche ich auf. Ein Zettel auf dem Küchentisch muss genügen â schlieÃlich sind sie daran gewöhnt, dass ich an freien Tagen öfters mal im Morgengrauen aufbreche, um Tiere zu beobachten.
Pa hat vollkommen recht: Ich werde bald siebzehn und Ma muss lernen loszulassen.
Mein Rad parke ich wie immer hinter dem HolzstoÃ, dann trabe ich weiter zu Fuà durch den Wald. Mit jedem Schritt in der kühlen Morgenluft verschwinden die sepiafarbenen Bilder von Marie Scherers Erinnerungen mehr und mehr aus meinem Kopf. Ein Kuckuck stimmt seinen Reviergesang an, ein dunkles Gu-Kuh.
Als ich bei meinen Aussichtsbaum angelangt bin, ist die Sonne längst aufgegangen und ich bin vollkommen im Hier und Jetzt. Heute ist Feiertag, ich brauche mir also keine Sorgen um Feldjäger zu machen. Ich klettere in mein Baumnest und suche mit dem Fernglas die Bäume und den Boden ab. Nicht lange und die beiden Ricken mit ihren Kitzen zeigen sich an der Wildsuhle. Sie äsen am jungen Birkenwuchs, die dünnen Kitze springen übermütig durchs taunasse Gras. Minuten später pflügt eine Wildschweinrotte aus dem Unterholz und die Rehe verschwinden wieder im Wald.
Ich beobachte die Bache mit ihren Frischlingen, die noch deutliche Streifen tragen. Wahrscheinlich sind sie zwei oder drei Monate alt. Es sind acht, eines ist auffallend kleiner als seine Geschwister. Die Schweine graben nach Schnecken und Würmern und suhlen sich so vergnüglich im Schlamm, dass ich lächeln muss.
Diese Ferkel verhalten sich nicht viel anders als Menschenkinder. Das kleinste wird von seinen kräftigeren Geschwistern gemobbt und quietscht laut, bis die Mutter aufmerksam wird und die anderen zur Räson bringt. Ein hohes Kikiki, der typische Ruf eines Baumfalken, lässt mich das Glas gen Himmel heben. Im Gleitflug hält der Raubvogel Ausschau nach Käfern oder Kleinvögeln, die zu seinem Speiseplan gehören. Durch das Fernglas kann ich deutlich seine weiÃe Kehle und das typische rostrote Beingefieder sehen. In einem rasanten Flugmanöver jagt er seiner Beute hinterher.
Ein markerschütterndes Quieken aus Richtung Suhle lässt mich das Fernglas schnell wieder nach unten zu den Säuen schwenken. Die Frischlinge stieben in alle Richtungen auseinander und auch von der Bache nehme ich nur noch den fliehenden Schatten wahr. Das Kleinste hetzt in panischem Zickzack durchs Gras â vergeblich. Der groÃe Schäferhund fegt den Winzling mit einem kräftigen Pfotenhieb von den Läufen und schlägt seine Fangzähne in den Nacken des kleinen Schweins, dessen Geschrei augenblicklich verstummt. Mit seiner Beute im Fang verschwindet das Tier im Schutz des Birkenwäldchens.
Mein Herz klopft bis zum Hals. Angestrengt starre ich durch das Fernglas, kann den Wilderer aber nicht mehr entdecken. Nun habe ich es mit eigenen Augen gesehen: Mein Vater hat einen jagenden Hund im Revier. Ich muss es ihm endlich erzählen.
Eine Weile sitze ich noch in meinem Nest, doch der Schäferhund taucht nicht wieder auf. Ich verlasse den Baum und steige den Hang hinunter. Im Birkenwäldchen entdecke ich die blutige Schleifspur im Gras, finde aber keinen Kadaver. Dieses Mal ist der Wilderer samt Beute verschwunden.
Das Knacken von Zweigen lässt mich zusammenfahren. Mein Verstand kombiniert in Windeseile: Hier hat vor wenigen Minuten eine
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