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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Junge zurückweichen, aber er steht wie angewurzelt. Seine Lippen zucken, doch es kommt kein Wort heraus. Hört er mich überhaupt?
    Â»Hallo, bist du taub? Ich hab dich was gefragt.«
    Keine Antwort.
    Was ist das denn für eine Autistennummer?
    Sonnenstrahlen, die durchs Laubwerk fallen, flackern auf seinem Gesicht. Ich stehe jetzt gut einen Meter vor ihm. Seine Augen changieren von Graugrün zu Gelbgrün, wie Kiesel in einem Bach. Diese Augen erinnern mich an jemanden, ich weiß nur nicht, an wen.
    Ich versuche es anders.
    Â»Ich heiße Jola«, sage ich, »und wohne in Altenwinkel.« Ich mache eine Handbewegung in Richtung Westen, wo das Dorf liegt. »Und wer bist du?«
    Â»Olek«, kommt es nach einigem Zögern.
    Oho, der Fremde kann sprechen. »Wo sind denn deine Kumpel?«
    Zwischen seinen geraden Augenbrauen bildet sich eine Falte.
    Â»Du bist allein?«
    Er nickt. Seine Hände sind jetzt bis auf den Pfeil leer, das Opinel steckt vermutlich in seiner Gesäßtasche.
    Mein Blick fällt wieder auf den Spruch auf seinem T-Shirt. »Bist du zu Besuch hier?«
    Â»Ja«, er nickt wieder, »zu Besuch.«
    Er hat eine angenehm dunkle Stimme und spricht mit leichtem Akzent. Ein Elf namens Olek zu Besuch von einem anderen Stern.
    Â»Wo?«, frage ich. »Wo bist du zu Besuch?«
    Die Spitze von seinem Spieß zeigt ebenfalls nach Westen. Zu Besuch in Eulenbach. Aha.
    Â»Bei Verwandten?«
    Er räuspert sich. »Bei Oma.«
    Okay.
    Â»Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Das hier ist Sperrgebiet.« Ich mache eine umgreifende Handbewegung. »Wenn die Feldjäger dich erwischen, hast du eine Anzeige wegen unbefugtem Betreten am Hals. Außerdem ist es gefährlich, hier liegt noch haufenweise Munition herum.«
    Ein spöttisches Lächeln zuckt um seine Mundwinkel. »Und was du machst hier?«
    Ist das ein osteuropäischer Akzent?
    Â»Ich beobachte Tiere«, sage ich und tippe zum Beweis auf das Fernglas auf meiner Brust.
    Â»Ich auch.«
    Â»Mit Pfeil und Bogen?«
    Er zuckt mit den Achseln.
    Nun habe ich genug. »Mein Vater ist Förster und das hier ist sein Revier. Wir sind zusammen hier und … ähm, wir haben uns gerade … aus den Augen verloren. Ich hoffe, du schießt mit dem Spielzeug da nicht auf Tiere, das ist nämlich ein Naturschutzgebiet. Überhaupt, dein Schäferhund … das ist doch deiner, oder? Der hat gewildert. Wenn mein Vater ihn erwischt, erschießt er ihn.«
    Olek sagt nichts, aber das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet. Sein stoisches Schweigen macht mich ganz verrückt. Ich warte ab, ob noch etwas kommt, aber Olek schweigt.
    Â»Ich muss jetzt gehen«, sage ich. »Lass dich nicht von meinem Vater erwischen, sonst gibt es mächtigen Ärger.«
    Olek tritt zur Seite. Als ich dicht an ihm vorbeigehe, rieche ich Holzfeuer, frische Minze und Wildnis.
    Â»Ach ja.« Ich drehe mich noch einmal zu ihm um. »Ich habe gestern mein Messer hier irgendwo verloren. Du hast es nicht zufällig gefunden?«
    Er schüttelt den Kopf, flackernde Augen im grünen Licht des Waldes. Ich sehe, dass er lügt, und ich hasse es, angelogen zu werden. Trotzdem sage ich nichts. Ich habe keine Ahnung, wer dieser Olek ist und was er hier wirklich treibt, aber irgendetwas ist da faul.
    Â»Na denn«, ich versuche ein unbefangenes Lächeln, »tschau.« Ich wende mich ab und trabe los.
    Als ich hinter mir meinen Namen höre, bleibe ich stehen und drehe mich verwundert um, aber Olek ist verschwunden – wie vom Erdboden verschluckt. Während ich den Hang hinauflaufe, drehe ich mich noch mehrmals um und werfe einen Blick zurück in die Senke, doch vom merkwürdigen Bogenschützen ist nichts mehr zu sehen.
    Erst jetzt fallen mir all die Fragen ein, die ich dem Elf noch hätte stellen können. Wie sein Nachname ist, zum Beispiel. Oder wie seine Oma heißt. Vielleicht kenne ich sie ja sogar, auch wenn sie im Nachbardorf wohnt.
    Gelegenheit verpasst, Jola. So einfach ist das. Und dein schönes neues Opinel kannst du auch abschreiben.
    Auf dem Heimweg schwirrt mir der Kopf. Zwei seltsame Fremde in meinem Wald. Ein Junge mit Pfeil und Bogen und ein Hund, der einen Frischling mit einem einzigen Biss in den Nacken töten kann.
    Olek stufe ich als harmlos ein, aber der Hund … Ich bin der Antwort ganz nah, das spüre ich.
    Zu Hause ist Ma bereits mitten

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