Isegrim
Paps.«
»Ja, ich weiÃ. Aber vielleicht kannst du sie ein wenig beruhigen.«
»Wie denn?«, frage ich. »Indem ich die ganze Zeit bei ihr zu Hause hocke?«
Pa zuckt resigniert mit den Schultern.
»Ma braucht eine Therapie.«
Er nickt, reibt sich das Gesicht mit den Händen.
Ich sage nichts mehr und gehe nach oben in mein Zimmer.
* * *
Laurentia, liebe Laurentia mein, wann wollen wir wieder beisammen sein?
So viele Prinzessinnen. Er hat sich nicht sattsehen können an ihrem fliegenden Haar, den Brüsten, den feuchten Lippen. Doch wo ist seine Zimtprinzessin? Sie bleibt verschwunden. Er hat etwas getan, etwas Schreckliches getan. Doch sosehr er sein Hirn auch anstrengt, es will ihm nicht einfallen.
Er weià nur eins: Seine Zimtprinzessin ist fort. Sie ist unerreichbar für ihn. Aber ohne sie kann er nicht sein. Er braucht sie, braucht ihre Liebe.
Er braucht eine neue Zimtprinzessin.
So schwer kann das doch nicht sein. Sie sind so viele. Sie haben keine Angst, nicht einmal im Dunkeln. Er kann sie kichern hören. Eine davon wird es sein, eine, die ihn braucht. Sie wird sein neuer Engel sein. Er muss nur warten, warten auf seine Gelegenheit.
Laurentia, liebe Laurentia mein,
wann wollen wir wieder beisammen sein? Am Sonntag!
Ach, wenn es doch endlich schon Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag wär
und ich bei meiner Laurentia wär, Laurentia!
14. Kapitel
E s ist es schon fast neun, als ich am nächsten Tag wach werde. Nicht mal Erna Euchlers Hahn hat mich geweckt. Auch meine Eltern sind gerade erst aufgestanden. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so lange geschlafen habe. Wir frühstücken und ich stelle überrascht fest, wie gut gelaunt sie an diesem Morgen sind. Vielleicht hatten sie ja guten Sex. Vielleicht sollte auch ich endlich mal guten Sex haben.
Heute ist Pfingstsonntag und nicht einmal Pa wagt es, am Tag des Brunnenfestes zu arbeiten. Seit Ostern haben Frauen und Männer der Altenwinkler Kirchgemeinde ausgeblasene Eier gesammelt und bunt bemalt. Gestern haben sie dann den Dorfbrunnen mit vier Birkenstämmen geschmückt und sie mit Eierketten verziert. Diese alte Tradition geht bis auf die Mönche zurück, die jedes Frühjahr den Laufbrunnen reinigten, damit das Wasser für Mensch und Tier sauber blieb. Oma Hermine hat dieses Fest geliebt und mich als Kind immer zum Eierbemalen in den Gemeinderaum mitgenommen. Seit sie gestorben ist, habe ich nicht mehr mitgemacht.
Am Nachmittag gehen Ma und Pa zum »Jägerhof«, wo im Biergarten der Rost brennt und die dorfeigene Blasmusikkapelle zum Pfingsttanz aufspielt. Ma hat ein hübsches Kleid an, weinrot, mit kleinen blauen Blüten. Sie tanzt für ihr Leben gerne, deshalb freut sie sich auf den Abend und war schon den ganzen Tag furchtbar aufgeregt.
Kai musste seinen Eltern tagsüber im Dorfladen helfen. Gestern (vor unserem Streit) haben wir ausgemacht, dass er mich gegen sieben abholt, damit wir zusammen zum Pfingsttanz gehen können. Ich habe mich hübsch gemacht für ihn, trage einen kurzen, glockenförmigen Rock und ein raffiniertes grünes T-Shirt mit Spitzenärmeln dazu â beides aus Saskias Fundus. Um halb acht ist er immer noch nicht da. DrauÃen ändert sich das Wetter. Wind kommt auf und weht Blätter und taube Fruchtstängel herein. Ich überlege, ob ich mich wieder umziehe. Als es endlich klingelt, ist es schon Viertel vor acht und meine Laune ist nicht mehr die beste. Ich reiÃe die Tür auf, setze an, Kai wegen seiner Verspätung Vorhaltungen zu machen â doch ich komme nicht dazu.
Kai steht auf den Eingangsstufen vor dem Haus, mit einer wilden Krone aus Blättern auf dem Kopf. »Ich bin der Laubkönig, meine Schöne«, sagt er mit verstellter Stimme. »Ich bin gekommen, um meine Pfingstbraut zu holen.«
Ich kann mir ein Grinsen nur schwer verkneifen. Nach altem Altenwinkler Pfingstbrauch bittet der Laubkönig die Eltern seiner Auserwählten, sie für zwei Tage im Dorf herumführen zu dürfen, um seine ernsthaften Absichten zu unterstreichen. Nur, dass meine Eltern gar nicht da sind und Kai das mit Sicherheit weiÃ.
»Da bin ich, mein König. Ich hole nur meine Jacke, dann können wir los.« Ich bin froh, dass er nicht mehr sauer auf mich ist. Er hat ja recht. Manchmal geht die Fantasie mit mir durch und ich spinne mir etwas zusammen.
Kai
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