Isegrim
herum, erschreckt fremde Leute und fühlt sich groÃartig dabei.«
»Und wenn.« Kai greift wieder nach meiner Hand und zieht mich weiter. Wir lassen das Wäldchen und das Maisfeld hinter uns und kommen am Schafpferch vorbei. Die Tiere schlafen dicht zusammengedrängt. Kai leuchtet über den schlafenden Wollhügel und schwenkt den Strahl der Taschenlampe wieder auf den Weg.
»Vielleicht ist es ja Trefflich, der Alina auf dem Gewissen hat«, platze ich heraus, als wir das Gewächshaus der Gärtnerei passieren.
»Was?« Abrupt bleibt Kai stehen und entzieht mir seine Hand, als hätte er an einen Stromzaun gefasst. »Ich glaube, jetzt gehst du ein bisschen zu weit, Jola«, sagt er mit verständnisloser Stimme. »Was spinnst du dir da eigentlich zusammen in deinem Wald? Na gut, Hubert Trefflich ist ein alter Schluckspecht mit einer Schrotflinte. Aber deswegen ist er noch lange kein Mörder.«
»Er hat Kasimir erschossen.« Ich merke selbst, dass ich mich wie ein trotziges Kind anhöre, das Aufmerksamkeit will. Das eine zu blühende Fantasie hat.
Kai lacht. »Das weiÃt du gar nicht genau. Und auÃerdem: Kasimir war ein Reh, Jola. Auch dein Vater erschieÃt Bambis und kleine niedliche Frischlinge.«
Wo Kai recht hat, hat er recht, trotzdem hasse ich ihn in diesem Moment für das, was er sagt. Wie er es sagt . Ich laufe schneller, entlang des Bretterzauns vor Rudi Grimmers Grundstück, als direkt neben mir Biene anschlägt. Ich bin so erschrocken, dass ich einen gellenden Schrei ausstoÃe und einen Satz weg vom Zaun mache.
Das Bellen der Hündin klingt jähzornig, aber ich weiÃ, dass der Zaun an der StraÃe hoch genug ist. Immer wieder springt Biene gegen die Bretter, auÃer sich vor Wut.
»Sei still, du blöder Köter«, fauche ich. Eigentlich mag ich jedes Tier und diese Schäferhündin kann nichts dafür, dass sie so drauf ist, aber sie hat mich mörderisch erschreckt und ich bin sauer.
»Mann, hast du eine Laune«, bemerkt Kai kopfschüttelnd.
Ich laufe noch schneller. Als wir am Friedhof vorbei in die DorfstraÃe biegen, sehe ich, dass bei Tante Lotta noch Licht brennt. Ein Geländewagen steht neben ihrem Van vor dem Haus. STA steht auf dem Nummernschild. Starnberg. Es ist Thomasâ Wagen. Er ist schon wieder da. Vierhundert Kilometer für Sex. Also bahnt sich da tatsächlich etwas an. Meine Laune verschlechtert sich rapide, wenn das überhaupt noch möglich ist.
Als wir vor Kais Hoftor angelangt sind, habe ich mich noch immer nicht beruhigt: »Tschau ⦠ich finde alleine nach Hause.«
»Ich habe deiner Mutter versprochen, dass ich dich an der Haustür abliefere.« Auch Kai ist jetzt richtig genervt.
»Es sind keine zweihundert Meter, Kai. Glaubst du, ich werde mitten im Dorf gekidnappt?«
»Nein, aber Biene war ziemlich sauer auf dich, und wenn sie ein Schlupfloch findet, dann ⦠na ja, Grimmer sitzt mit seinem Bruder am Bierwagen und kippt ein Bierchen nach dem anderen, der wird dir jedenfalls nicht helfen.«
Blödmann. Ich schiebe die Hände in die Taschen meines geborgten Sweatshirts und trabe los. Als ich die Klinke zu unserem Hoftor herunterdrücke, sehe ich Kai in ein paar Metern Entfernung unter der Laterne auf der StraÃe stehen. Er ist mir gefolgt, er hat sein Versprechen gehalten. Kai hält immer seine Versprechen.
Im Hof springt der Bewegungsmelder an. Pa ist noch auf, er sitzt mit Paul auf der Couch und schaut sich im Fernsehen eine Dokumentation über den Yellowstone an. Vielleicht träumt er ja immer noch heimlich von einer Wildnis mit Bären und Wölfen.
Er gähnt. »Na, wie warâs?«
»Total super. Aber es ist auf einmal ziemlich kalt geworden, und wenn man nicht pausenlos tanzt, erfriert man.«
»Das sind die Eisheiligen«, sagt Pa, »sie haben im Wetterbericht Nachtfrost angekündigt und deine Mutter hat Angst um ihre Bohnen.« Er hebt die Rechte mit der Fernbedienung und schaltet den Fernseher ab. Pauls Pfoten zucken. Er träumt, jagt Mäuse im Schlaf.
»Schlaf gut«, sage ich. »Ich bin müde.« Ich wende mich zum Gehen.
»Jola?«
Ich drehe mich um. »Ja?«
»Deiner Mutter geht es nicht gut. Dass Thomas von diesem toten Mädchen erzählt hat ⦠nun ja, das hat alles wieder aufgewühlt in ihr. Sie hat Angst um dich.«
»Sie hat immer Angst um mich,
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