Isegrim
versteht.
Ich schmiege mich an seine Brust, atme seinen vertrauten Geruch ein. »Lass uns die Prüfungen hinter uns bringen, okay? Die Büffelei bedeutet ziemlichen Stress für mich und allein im Wald kann ich mich am besten konzentrieren.«
Kai streicht mir mit dem Daumen zärtlich über die Wange. »Ja,ich weiÃ.« Er küsst mich, diesmal ist es ein sehnsuchtsvoller, inniger Kuss und ich spüre darin seine Angst, mich zu verlieren.
»Bis Montag«, sagt er. »Wenn du mit Mathe nicht klarkommst, ruf mich an, okay?«
Diesmal lasse ich meine übliche Vorsicht auÃer Acht und stelle mein Rad nicht hinterm Holzstoà ab, sondern schiebe es noch ein Stück durch den Wald und fahre ungefähr einen Kilometer auf der RingstraÃe entlang, bevor ich es in einem Strauch verstecke und mich auf den Weg zu Oleks Höhle mache.
Ich habe den GroÃen Tambuch fast erreicht, als jemand meinen Namen ruft und ich abrupt stehen bleibe. Olek tritt aus dem in der Sonne funkelnden Grün des Waldes. Heute trägt er ein blaues, verwaschenes T-Shirt mit einigen Löchern, dazu die verschlissenen Cargoshorts und seine abgewetzten Turnschuhe. Sein von der Sonne gebleichtes Haar sieht frisch gewaschen aus und hängt ihm wirr ins Gesicht.
»He«, sagt er.
»Hey.« Mein Herz schlägt wild gegen die Rippen, und das kommt nicht nur vom Laufen. »Was macht deine Hand?«
»Der geht es gut.« Er hebt seine Rechte, öffnet und schlieÃt seine Finger.
»Prima.« Ich lächele ihn an und Verlegenheit macht sich breit. Kurz überlege ich, ob ich ihm von meiner Deutschprüfung erzählen soll, aber dann lasse ich es. Schule ist mit Sicherheit kein spannendes Thema für jemanden wie Olek.
»Ich â¦Â«
»Komm mit«, sagt er. »Ich dir was zeigen.«
Als ich Olek folge, wird mir bewusst, dass ich bereit bin, mit ihm ans Ende der Welt zu gehen, wenn er mich dazu auffordern würde. Wo bleibt dein Verstand, Jola? Du kennst nicht einmal den Nachnamen dieses Jungen. Du weiÃt im Grunde gar nichts über ihn.
Olek läuft wie ein Sprinter, fast lautlos fliegt er zwischen den Stämmen und Sträuchern hindurch, immer nur so schnell, dass ich ihm auch folgen kann. Wir balancieren auf dem umgestürzten Stamm einer Kiefer, schlagen uns durch stacheliges Unterholz und erreichen schlieÃlich den Rand eines halb offenen, durch Windbruch unübersichtlichen Geländes voller Grasbuckel, bestanden von Sträuchern und Kiefernschösslingen.
Olek deutet auf einen alten, vermutlich längst aufgegebenen Jägeransitz, dessen offene Kanzel mit belaubten Zweigen getarnt ist. »Setz dich hoch«, flüstert er. »Ich komme gleich.«
In der Leiter fehlen Sprossen, aber Klettern war noch nie ein Problem für mich. Ich setze mich auf die schiefe Bank, hole mein Fernglas aus dem Rucksack und suche die Gegend nach Olek ab.
Für einen Moment ist er nicht zu sehen, aber dann entdecke ich ihn in etwa fünfzehn Metern Entfernung. Er trägt Handschuhe und schleppt ein dunkles Paket auf der Schulter, das er in der Nähe eines gefallenen Kiefernstammes ins Gras gleiten lässt. Das Ding ist in eine Decke eingewickelt. Er schlägt sie auseinander und zieht etwas an den Läufen ins Gras. Einen toten Frischling.
Olek schnappt sich die Decke und verlässt den Ort schnell wieder. Ungläubig beobachte ich sein Treiben. Das ist verrückt. Er jagt tatsächlich für die Wölfin. Ich kann nicht glauben, dass das funktionieren soll, aber hätte er mich sonst hierhergeführt?
Kurz darauf beginnt der Hochsitz zu wackeln und Oleks Kopf erscheint zu meinen FüÃen. Ich rutsche zur Seite. Wir sitzen dicht nebeneinander auf der schiefen Bank. Oleks Arm berührt meinen Arm und meine Haut kribbelt an dieser Stelle wie verrückt.
»Hat sie hier ihre Höhle, die Wölfin?«
Olek nickt, legt einen Finger auf seine Lippen und zeigt auf den toten Frischling im Gras. Wie soll das funktionieren? Sie wird uns entdecken: Wölfe haben eine hervorragende Nase. Aber dann stelle ich fest, dass der Wind günstig steht und sie uns mit etwas Glück nicht bemerkt hier oben.
Ich reiche Olek das Fernglas. Während er voller Begeisterung hindurchschaut, betrachte ich ihn von der Seite. Er hat Spinnweben im Haar, Kiefernnadeln und ein kleines Blatt. Ich muss mich elend beherrschen, ihm das Blatt nicht aus dem Haar zu zupfen.
So
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