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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sitzen wir lange in unserem luftigen Versteck, ohne zu reden. Arm an Arm. Wartend. Wir tun stundenlang nichts, aber in diesem wunderbaren, luftigen Nichts spüre ich, dass etwas passiert, etwas Überwältigendes, das ohne Worte ist. Etwas, das sich richtig anfühlt, obwohl alles dagegenspricht.
    Die Schatten werden länger, die Abendsonne lässt die Kiefernstämme am Rand der Lichtung rötlich aufleuchten. Auf einmal drückt Olek mir seinen Ellenbogen in die Seite und deutet mit der Nase nach vorn. Ich schaue durchs Fernglas und da sehe ich sie, die graue Jägerin, wie sie dasteht und ihre Augen jedes Detail der Umgebung abtasten.
    Sie ist misstrauisch. Gut so, denke ich und wage kaum zu atmen. Längst hat sie die Witterung des toten Wildschweins aufgenommen. Die Wölfin ist mager unter ihrem Sommerfell, vermutlich ist der Hunger bohrend genug, dass sie Oleks Gabe nicht ausschlagen wird, auch wenn sie das große Überwindung kostet.
    Langsam, den Schwanz zwischen die Hinterbeine gezogen, setzt sie sich in Bewegung. Schiebt einen Lauf vor den anderen und umkreist die Beute in einem großen Bogen. Dann sichert sie wieder in alle Richtungen, die Ohren wachsam aufgerichtet.
    Plötzlich wirft sie den Kopf herum, macht ein paar schnelle Sätze zur Seite, sodass ich sie aus den Augen verliere.
    Ich hab’s gewusst. Es wird nicht funktionieren.
    Doch dann pirscht die Wölfin wieder heran, den Kopf dicht am Boden. Sie hat Angst, aber sie muss ihre Angst überwinden, um überleben zu können, um das Überleben ihres Nachwuchses zu sichern. In diesem Moment verspüre ich eine tiefe Verbundenheit mit ihr. Tiere leben im Augenblick, sie machen keine Pläne, kennen keine Vernunft. Ihre Vernunft ist der Instinkt. Aber sie kennen Angst – genauso wie wir Menschen.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit hat die Wölfin ihre übergroße Vorsicht überwunden. Sie schnappt den toten Frischling bei der Kehle und zerrt ihn aus unserem Blickfeld. Ich lasse das Fernglas sinken und schaue Olek an. Ein triumphierendes Lächeln erhellt sein Gesicht, wieder legt er den Finger auf die Lippen.
    Wir müssen warten, denn wenn die Wölfin beim Fressen gestört wird, wird sie ihre Höhle aufgeben, diesen Ort aufgeben, nie wieder hierherkommen.
    Erneut spüre ich den sanften Druck von Oleks Ellenbogen in meiner Seite. Und dann sehe ich sie, wie sie einer nach dem anderen unter dem Stamm der gefallenen Kiefer hervorkommen. Drei der Wolfswelpen haben ein rötlich graues Fell wie das ihrer Mutter. Der vierte ist heller als seine Geschwister.
    Die vier mit ihren tapsigen, großen Pfoten beschnuppern das Maul ihrer Mutter, umschließen es mit ihren kleinen Schnauzen, bis die Wölfin halb verdautes Fleisch auswürgt. Die Welpen fressen die Brocken, danach fangen sie an zu säugen. Die Wölfin bleibt stehen, offensichtlich hat sie nicht vor, das Ganze mehr als nötig in die Länge zu ziehen.
    Schließlich entledigt sie sich der kleinen Racker; als sie ihr erneut auf die Pelle rücken, verteilt sie zärtliche Knuffe, die dem Nachwuchs klarmachen sollen, dass es genug ist. Sie legt sich ins Gras und die Welpen beginnen, unter den wachsamen Blicken ihrer Mutter zu spielen.
    Sie jagen einander, schnappen nach Ohren, Pfoten und Schwänzen. Sie rollen verknäult im Gras, üben für später. Der kleine Graue hat Beute gemacht, er schleppt einen Tannenzapfen im Fang umher. Er und seine Geschwister haschen nach Schmetterlingen, verfolgen Grashüpfer und ergötzen sich an einer durchgekauten Maus, die sie wieder und wieder töten.
    Das Fernglas wandert zwischen Olek und mir hin und her, verbunden mit lächelnden Blicken und kleinen Berührungen unserer Finger, winzige Stromschläge, die sich in jede Faser meines Körpers fortsetzen. Ich bin schier überwältigt von diesem Erlebnis, das ich mit Olek teile, das ich ihm zu verdanken habe.
    Ein paar Minuten später ist das kleine Wolfsrudel wieder verschwunden. Verstohlen werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Schon Viertel nach acht. Ich beneide Olek, der nicht nach der Uhr leben muss, so wie normale Teenager.
    Â»Ich muss nach Hause«, sage ich leise. »Meine Mutter macht sich sonst Sorgen.«
    Â»Besser, wir warten … nur ein wenig noch. Dann ist sicher, dass sie sind weg.«
    Zwanzig Minuten später klettern wir vom Hochsitz und entfernen uns schweigend aus dem

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