Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
kämpft darum, Haltung zu bewahren, ich höre es an seiner Stimme. »Mutter ist gestorben. Ich wollte nicht in ein Heim, also ich bin weggelaufen.« Jetzt, wo Olek aufgewühlt ist, kommt sein Akzent wieder stärker zum Vorschein.
    Â»Wie alt warst du, als du weggelaufen bist?«
    Â»Dreizehn.«
    Â»Und wie lange ist das her?«
    Â»Fünf Jahre.«
    Mir entfährt ein überraschter Laut. »Fünf Jahre? Wo warst du in all dieser Zeit?«
    Mit gequältem Gesichtsausdruck schüttelt Olek den Kopf.
    Â»Du kannst es mir ruhig erzählen«, ermuntere ich ihn. »Ich kann einiges aushalten.« Was vermutlich eine Lüge ist.
    Â»Ein Mann hat mich aufgenommen. Zuerst ich war froh. Ich hatte ein Bett und Essen und da waren andere Kinder. Kinder wie ich. Aber dieser Mann und sein Sohn … wir mussten ihn Patron nennen. Mehrere Wochen lang haben sie uns Stehlen und Einbrechen beigebracht und ein paar Sätze Deutsch. Es war so etwas wie … Schule. Und als wir gut genug waren, hat Patron uns illegal nach Berlin geschleust.«
    Nach und nach erfahre ich von dem schäbigen kleinen Zimmer in Neukölln, in dem sie zu viert hausen mussten, von den täglichen Diebestouren und dem ständigen Hunger. Der Patron verlangte fünfhundert Euro pro Tag von jedem der vier.
    Â»Eines Tages hat eine Polizeistreife uns erwischt. Wir sind weggerannt, wir waren sehr schnell. Aber Antek, er ist vor ein Auto gelaufen und war tot. Er war mein Freund.«
    Â»Das ist ja schrecklich.«
    Â»Ich bin nicht zurück zu Patron. Ich bin abgehauen, weg aus Berlin.«
    Â»Und seitdem bist du allein?«
    Neuerliches Kopfschütteln. »Ich habe mich im Spreewald versteckt, in Haus von alter Frau. Manchmal sie war verwirrt, hat gedacht, ich bin ihr Sohn. Aber ihr Sohn war tot.«
    Â»Und warum bist du wieder weg von ihr?«
    Â»Sie gestorben.« Oleks Augen schwimmen plötzlich in Tränen.
    Â»Und du bist weitergezogen?«
    Â»Ja. War mal hier und mal dort.«
    Â»Wann bist du in mei... ähm, diesen Wald gekommen?«
    Â»Anfang April. Zuerst ich habe in einem Bunker gewohnt und später dann die Höhle entdeckt. Und jetzt ist Ende mit Verhör.« Olek wirft das klein geschnittene Fleisch in den Topf, gibt Wasser und kleine Zwiebeln dazu. »Du bist dran. Erzähl mir etwas von dir.«
    Â»Was soll ich dir erzählen?«, frage ich. »Du weißt doch schon alles.«
    Mit Zeitungspapier und Holzspänen entfacht Olek das Feuer in seinem selbst gebauten Herd und ich staune, wie gut es brennt. Die Luftzufuhr funktioniert bestens, das Holz ist trocken, es entsteht kaum Rauch.
    Â»Erzähl mir von deinem Freund«, sagt Olek, während er eine große Kartoffel schält. »Hat er …«, er sucht nach den richtigen Worten. »Hat er Anspruch auf dich?«
    Bevor ich ihm antworten kann, muss ich ein Kratzen in meinem Hals wegräuspern. »Kai und ich«, sage ich, »wir sind schon seit dem Kindergarten befreundet.« Fabelhafte Antwort, Jola.
    Olek schneidet die Kartoffel in kleine Stücke und gibt sie in den Topf. Er wäscht sich die Hände in Tante Lottas Eimer und reibt sie an seiner Hose trocken.
    Â»Er liebt dich.«
    Ich spüre, wie meine Hände feucht werden und mein Mund trocken. Was weiß er noch alles über mich und Kai?
    Â»Ja«, sage ich. »Und ich dachte, ich würde ihn lieben. Aber ich habe gemerkt, dass es keine Liebe ist. Kai ist … er ist wie ein Bruder für mich. Verstehst du?«
    Olek schweigt.
    Â»Du musst aufhören, die Leute im Dorf zu bestehlen«, wechsele ich das Thema. »Irgendwann erwischen sie dich.«
    Â»Ich bin ein Meisterdieb, schon vergessen?«
    Â»Du hast Kais Lieblings-T-Shirt geklaut, Olek. Wenn er dich damit sieht, bringt er dich um. Lass es mich ihm zurückgeben, ich habe dir eines von meinen T-Shirts mitgebracht.«
    Olek gefällt mein Vorschlag nicht, er schüttelt den Kopf.
    Â»Warum nicht? Ich kann es heimlich zurück in sein Zimmer legen.«
    Â»Ich brauche es.«
    Â»Für was?«
    Â»Ich mache … Voodoo.«
    Â»Was?«
    Â»He, war nur Spaß. Ich mag es. Ist jetzt mein Liebling-T-Shirt.«
    In den darauffolgenden Tagen muss ich vormittags die Schulbank drücken und am Nachmittag für die mündliche Englischprüfung lernen. Außerdem verbringe ich Zeit mit Saskia und Kai, damit sie nicht misstrauisch werden.
    Obwohl Lisa noch

Weitere Kostenlose Bücher