Isenhart
ihm einen Gefallen zu erweisen.
Sophia erklärte es ihm, denn es war auch ihre Idee gewesen. Es ging darum – von Ascisberg hatte es in jener Nacht gesagt –, sich an sein verändertes, nicht zwangsläufig reduziertes Sehvermögen zu gewöhnen. Da war sie sechs Jahre alt und Isenhart beeindruckt von der Reife dieses Kindes, das ansonsten mehr Schabernack ausheckte als Henrick und er zusammen.
In der zweiten Woche fing Isenhart die Gegenstände, die Anna ihm zuwarf. Und in der Woche darauf arbeitete er an der Esse, alssei nie etwas gewesen. Mit seinem Vater behandelte er das erste Mal selbst das frisch gewonnene Eisen. Schlagzahl und Wucht der Hammerhiebe waren für ihn ein ebenso unbekanntes Feld wie die Deutung der Verfärbung des erkaltenden Metalls. Chlodio, seit dem Zwischenfall in sich gekehrt und melancholisch, brachte es ihm bei, und wenn er einen Fehler beging, begnügte sein Vater sich mit einem kräftigen Tritt gegen sein Schienbein.
»Du untoter Bastard«, sagte Isenhart bei einer Gelegenheit, »was habt Ihr damit gemeint?«
»Das habe ich nie gesagt«, erwiderte der Pinkepank und hämmerte heftiger auf das Metall, das einmal das Scharnier für das neue Burgtor werden sollte. Isenhart hatte die Lüge schon erkannt, bevor sie den Mund des Pinkepanks verließ. Und damit auch die Unmöglichkeit, jemals eine ehrliche Antwort auf seine Frage zu erhalten.
Die Verletzung verlieh ihm allerdings auch eine neue Fähigkeit: Kniff er das linke Auge zu, verhalf das Relief, das sich plötzlich aus der Fläche erhob, seinen Hieben am Amboss zu einer traumwandlerischen Zielgenauigkeit.
Kein Stock und kein Stein, den er nicht mehr fing.
Als der Herbst nahte, gebar Ida einen Sohn. Henrick, der von Esel zu Schaf gewechselt hatte – Esel sind so unruhige Tiere –, kümmerte sich zusammen mit Isenhart um den Nachwuchs, der Frieden in das Haus brachte. Selbst Chlodio lebte auf. Henrick schwor Stein und Bein, ihn lachen gesehen zu haben.
Als Sophia einmal vorbeischaute und den Kleinen, Ludwig, nach dem gerade verstorbenen Landesfürsten von Württemberg benannt, im Arm hielt und dieser zu lächeln begann, schrie sie unvermittelt auf und brach in Tränen aus. Henrick nahm den Bruder an sich, Isenhart fragte Sophia, was sie bedrückte, obwohl er kein wirkliches Interesse für die wechselhaften Gefühle der kleinen Fürstentochter empfand.
»Nichts«, sagte Sophia und verschwand. Und beides war Isenhart recht.
Erst später begriff Isenhart, wie oft Walther von Ascisberg lenkend in sein Leben eingegriffen hatte. An einem regnerischen Septembermorgen tauchte er plötzlich in der Schmiede auf, eine hagere Gestalt, das Gesicht ausgezehrt, die Augen wach und auf den Pinkepank gerichtet. »Ab jetzt kann Isenhart dir nur noch am Nachmittag zur Hand gehen«, sagte er.
Walther von Ascisberg wirkte auf den ersten Blick unscheinbar, ein Mann, den man durchaus übersehen konnte. Und doch war er in gewissem Sinne aus demselben Stoff wie Sigimund von Laurin. Egal, welchen Raum sie betraten, immer beherrschten die beiden ihn auch.
Chlodio erhob keine Widerrede, und von Ascisberg nahm Isenhart mit sich.
Isenhart spürte zum ersten Mal in seinem Leben ein Pferd, das sich unter ihm bewegte und ihn durch die Landschaft trug. »Tut das dem Pferd weh?«, fragte er.
Von Ascisberg lächelte und schüttelte dann den Kopf. Danach verdoppelte sich Isenharts Genuss.
Sie erreichten eine Lichtung, sanfter Nieselregen setzte ein.
»Du wirst«, sagte Walther von Ascisberg, »ab heute etwas erhalten, was dem Stand der Nobile vorbehalten ist: Bildung.«
Isenhart ahnte, dass das wohl eine Art Geschenk sein sollte. Er nickte ehrfürchtig und schwieg, um keinen Fehler zu begehen. Er war den Umgang mit Geschenken nicht gewohnt. Und er wusste auch nicht, was Bildung ist.
»Muss ich dafür weg?«
Walther von Ascisberg schüttelte erneut den Kopf und schmunzelte. »Du wirst die Sprache der Gelehrten lernen«, erwiderte er dann.
Sie hatten einen kleinen Fluss erreicht. Von Ascisberg saß ab, und auch Isenhart rutschte so elegant wie möglich vom Rücken des Pferdes.
»Sieh.«
Isenhart sah ein großes Rad aus Holz, das von der Strömung des Flusses in Bewegung gehalten wurde. Am Rand des Rads waren kleine Gefäße angebracht, die fünf oder sechs Kellen vom Wasser aufnahmen und es, in ihrer unweigerlichen Abwärtsbewegung, in eine hölzerne Rinne entluden. Isenharts Augen folgten dem Verlauf der Rinne. Walther von Ascisberg beobachtete jede
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