Isenhart
er, sein Vater hatte ihn für zwei Jahre zu einem befreundeten Fürsten geschickt, der bei Spira seine Ländereien unterhielt. Dort hatte Konrad das Reiten und Bogenschießen gelernt; Letzteres unter Protest, denn Bogenschießen war in seinen Augen etwas für Feiglinge, die auf diese Art dem ehrlichen, direkten Kampf auswichen.
Vor ihrem ersten Tag bei Vater Hieronymus steckte man die beiden zusammen. Konrad war wohlgenährt, aber Bauch und Arme trugen kein Gramm zu viel. Sigimund von Laurin stellte sie einander vor. Isenhart war voller Hoffnung, einem Gleichgesinnten zu begegnen. Der Gleichgesinnte griff seinen Arm und drehte ihn in der Länge so schmerzhaft, dass Isenhart augenblicklich zu Boden ging.
Und so ging es in einem fort. Konrad konnte schneller laufen, weiter werfen und höher klettern. Wer gewann wohl beim Armdrücken, zu dem Konrad ihn bei jeder Gelegenheit aufforderte?
Das, sagte Konrad, entspreche der natürlichen Ordnung von Herr und Knecht. Isenhart sei als Diener geboren, und ein Diener könne – und vor allem dürfe – den Herrn niemals überragen.
Am Ende des Tages fragte Isenhart sich, ob es überhaupt erstrebenswert war, eine der Türen zu durchschreiten, die sich ihm heute geöffnet hatten. Er schlich zu seinem Lager, seine Mutter wiegte das Neugeborene in den Schlaf. Der Pinkepank schnarchte,und sein Bruder Henrick fütterte zwei Hühner, die er im Austausch gegen einen Steigbügel erhalten hatte.
Isenhart nahm an, dass dem Federvieh eine eindringliche Nacht bevorstand, doch er irrte sich. Henrick hatte sich ein großes Ziel gesetzt: Er wollte Hühner züchten. Deshalb einen Hahn und eine Henne, den Nachwuchs würde er wieder kreuzen und so weiter.
»Wie ist er so?«, fragte Henrick.
»Er ist ein Schafskopf«, erwiderte Isenhart müde.
Hieronymus war ein Geistlicher, Ende zwanzig, eine hagere, fast ausgezehrte Gestalt, die nicht stillstehen konnte, sondern in der kleinen Kapelle auf und ab ging. Von links nach rechts und wieder zurück.
»Ich bin das A und das O«, zitierte er, »der Anfang und das Ende.«
»Aber das O ist in der Mitte, oder?« Konrad kniff die Augen zusammen, weil alles, was diese spindeldürre Gestalt von sich gab, keinen Sinn ergab.
»Alpha und Omega«, widersprach Isenhart leise.
Er und der Sohn von Sigimund von Laurin saßen nebeneinander auf zwei kalten Holzschemeln, sie teilten sich eine handgeschriebene Bibel, ein Buch von unschätzbarem Wert. Hieronymus hatte ihnen erklärt, dass drei Mönche zwei Jahre benötigt hätten, um es herzustellen. Während Konrad sich insgeheim fragte, wie man seine Zeit dermaßen sinnlos verplempern konnte, fuhren Isenharts Finger sanft über das Pergament.
»Alpha und Omega«, nahm Hieronymus den Faden auf, »im griechischen Alphabet der erste und der letzte Buchstabe.«
Konrad blies seine Wangen auf: »Wozu brauch ich das?«
Hieronymus verfügte über ein ausgezeichnetes Gehör. Er trat an Konrad heran.
»Um zu dienen«, brachte er schmallippig vor Ärger hervor, »und um zu herrschen. Ihr seid der Stammhalter des Hauses Laurin. Herrscher über das Gesinde, aber Untertan Gottes. Euer Leben soll dem Allmächtigen wohlgefällig sein.«
»Er kann doch gar nicht so viele Leute im Auge behalten«, meinte Konrad.
Vater Hieronymus verstand sich meisterhaft auf die Handhabung des Rohrstocks, deren Geheimnis im Wesentlichen auf der Wendigkeit des Handgelenks basierte, das ihn führte. Isenhart konnte dem Halbkreis kaum folgen, den der Stock in die Luft schnitt, bevor er zwischen Konrads Schulterblätter fuhr.
Der Sohn des Fürsten sprang auf – halb vor Schmerz, halb vor Zorn – und fand sich von Angesicht zu Angesicht dem Geistlichen gegenüber. »Wagt es noch ein einziges Mal …«, begann Konrad mit zitternder Stimme, denn er war gerade erst zwölf Jahre alt.
»Wagt was? «, unterbrach ihn Hieronymus, » was soll ich wagen?«
Isenhart begriff, dass es eine Frage der Zeit war. Von Jahren, aber derer nicht allzu viele. Vielleicht fünf oder sechs Jahre mehr, und Konrad von Laurin hätte dem Geistlichen die Hände gebrochen.
»Hinsetzen«, befahl Hieronymus.
Nach einem kurzen Zögern, das es ihm gestattete, etwas von seinem Gesicht zu wahren, kam Konrad dem Befehl des Geistlichen nach.
»Hände auf das Pult.«
Konrad kam auch dieser Anordnung nach, vor Wut bebend.
»Offenbarung des Johannes, Isenhart. Kapitel 1, Vers 17 und 18. Für jeden Fehler, den du machst, büßt der junge Herr.«
»Aber wir sollten
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