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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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seiner Regungen.
    »Wohin wird das Wasser getragen?«
    »Zu einer Siedlung, sie brauchen es zum Leben, für das Vieh, die Schmiede. Zu allem. Niemand muss jetzt mehr zum Fluss.«
    Isenhart verstand. Sein Blick war auf das Rad und seine Funktionsweise geheftet. Es war ebenso einfach wie gewitzt. Er sah zu von Ascisberg. »Habt Ihr es gebaut?«
    »Nur erdacht. Das Gesinde hat es gebaut.«
    Isenhart durchlief ein Schauer. »Warum werfen die Bäume im Herbst ihr Laub ab?«
    Walther von Ascisberg, selbst ganz versunken in den Anblick seines Werkes, versunken in der immer gleichen Bewegung und dem steten Fluss des Wassers in der Rinne, merkte auf und musterte den Jungen. »Ich weiß nicht. Vielleicht ist es Gottes Wunsch, dass sie es tun.«
    Isenhart nickte, aber von Ascisberg konnte ihm an der Nasenspitze ablesen, dass er sich damit nicht zufriedengeben würde, und prompt kam die Bestätigung: »Aber warum ist es Gottes Wunsch?«
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
    Isenhart nickte, doch sein Blick galt dem Wasserrad. Und von Ascisberg konnte es ihm nicht verdenken, denn ebenso gut hätte er gar keine Antwort geben können.
    »Was ist, wenn der Fluss irgendwann kein Wasser mehr führt?«
    »Der Fluss versiegt nicht.«
    »Warum?«
    »Ich habe noch nie von einem Fluss gehört, der versiegt wäre.«
    »Und wenn doch?«
    Der Junge wurde langsam anstrengend.
    »Dann muss das Gesinde zu einem anderen Fluss gehen und sich sein Wasser wieder selbst holen.«
    Isenhart spürte, wie seine Fragen den Unmut des Mannes neben ihm hervorriefen, und obschon er wohl einen Tag ununterbrochen hätte reden müssen, um auch nur die dringendsten Fragen zu stellen, die ihn bewegten, schwieg er daher.
    So standen sie einige Augenblicke am Ufer und bemerkten amGlitzern des Wassers, dass die Sonne sich gegen den Regen durchgesetzt hatte.
    Von Ascisberg selbst war im niederen Adel geboren worden, wie er zu erzählen begann. Er hätte es sich auf dem Landsitz seines Vaters bequem machen und den Knechten beim Arbeiten auf den Feldern zusehen können. Aber ihn trieb dieselbe Frage um, die er auch bei Isenhart immer lauter zu vernehmen meinte: Warum?
    Warum werfen die Bäume im Herbst ihr Laub ab? Warum ändert der Mond seine Form, wachsen den Toten Nägel und Haare, fällt alles zu Boden, statt zu schweben, und warum verlieren die Menschen nach und nach ihre Zähne? Und warum, schloss Walther von Ascisberg, sollten die Bewohner einer Siedlung täglich den Weg zum Fluss auf sich nehmen, wenn man den Fluss zu der Siedlung fließen lassen kann?
    »Das Wasserrad«, erkannte Isenhart.
    Von Ascisberg nickte. Er erklärte ihm, wie der Unterricht, den er von nun an von Pater Hieronymus erhalten sollte, Türen für ihn aufstoßen würde, die einem Jungen aus seinem Stand für gewöhnlich zeit seines Lebens verschlossen blieben.
    »Aber«, fügte von Ascisberg hinzu, »durch die Türen muss man immer noch selbst gehen.«
    Isenhart wollte sich der Sinn dieser Worte im Moment nicht erschließen, aber das tat seiner zunehmenden Aufgeregtheit keinen Abbruch. In seinem Bauch war ein Kribbeln entstanden, das ihn jetzt ganz erfasst hatte. Seine Intuition sagte ihm, dass er auf der Schwelle zu einer neuen Welt stand.
    Sie kehrten zu den Pferden zurück, die in der Nähe grasten.
    »Es ist ein Privileg«, sagte Walther von Ascisberg.
    »Was ist das?«
    »Es stammt aus einer Sprache, die du jetzt lernen wirst: Latein. Es ist die Sprache der Gelehrten. ›Privileg‹ bedeutet ein Vorrecht für den Einzelnen. In diesem Fall für dich.«
    Walther von Ascisberg half ihm hinauf aufs Pferd, bevor er sein eigenes bestieg. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück.
    »Warum tut Ihr das für mich?«
    »Weißt du, was ›verwandte Seelen‹ sind?«
    »Nein.«
    Walther von Ascisberg nickte sich selbst auf eine Weise zu, die keinen Zweifel daran ließ, dass er mit dieser Antwort gerechnet hatte.
    Ihr Rückweg nahm eine gute Stunde in Anspruch, und in der erklärte er Isenhart, was es bedeutete, wenn fremde Menschen im Gleichtakt schwangen.

[Menü]
4.

    onrad war vom Messen besessen. Nicht vom Abmessen des Wehrturms oder der Ländereien, sondern vom Sichmessen mit anderen.
    Isenhart war, als bestünde Konrads ganzes Wesen darin, seinen Platz in einer Hierarchie zu finden, die durch das Wetteifern bestimmt war. Und in dieser wie in jeder anderen Ordnung waren der Ruf und das Ansehen umso größer, je höher man in ihr rangierte.
    Konrad von Laurin war ein Jahr älter als

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