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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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gab es in dieser Zeit nur wenige. Und ein jeder von ihnen war froh, auf einen anderen zu treffen.
    »Was ist das – der Almagest?«, fragte Isenhart.
    »Eine Schrift über die Gestirne«, antwortete Henning, bevor von Ascisberg es sagen konnte, »es stammt von Claudius Ptolemäus. Oder?«, fügte er etwas unsicher hinzu.
    Walther nickte: »Woher habt Ihr Kenntnis davon? Euer Vater?«
    »Ja. Er hat den Großteil seines Wissens über die Kräuterheilkunde in Jaffa erworben. Da ist er auch auf den al-magisti gestoßen. Aber er war vom Griechischen ins Arabische übersetzt worden, und wir waren weder des einen noch des anderen mächtig.«
    Isenhart fühlte Neid in sich aufsteigen, eine Regung, die ihm zu billig schien, um sie verspüren zu wollen, die er aber nichtsdestotrotz empfand. Er war nicht im Heiligen Land gewesen, er war nicht in Kontakt mit einer völlig anderen Lebenswelt getreten, so wie Walther und Henning. Er missgönnte den beiden diese Erfahrung nicht, es verhielt sich lediglich so, dass er sie auch zu gerne gemacht hätte. Weil dem nicht so war, fühlte er sich ein wenig ausgeschlossen.
    Walther von Ascisberg erfasste Isenharts Gefühlszustand mit einem einzigen Blick.
    »Ptolemäus hat die Erkenntnisse der griechischen Gelehrten und seine eigenen in einem gewaltigen Werk zusammengefasst«, erklärte er daher, »er hat die Bewegungen von 1022 Sternen beschrieben. Außerdem Theorien über das Himmelszelt, die Sonne und den Mond entworfen und die Grundlagen seiner Messmethoden weitergegeben. Diese Sammlung von Wissen ist der Almagest.«
    Isenhart erfasste sofort den Wert dieses in Leder eingebundenen Buches, das von irgendwelchen Mönchen in mühseliger Arbeit Wort für Wort kopiert worden war. Auch auf Henning übte die bloße Existenz dieses Bandes eine ungeheure Faszination aus.
    »Es gibt zwei … erstaunliche Dinge darin zu lesen. Erinnerst du dich, wie du den Holzstab mit dem Läufer entworfen hast, um die Höhe von entfernt liegenden Objekten zu bestimmen?«
    Isenhart nickte. Auf diese Art hatte er die Höhe des Ascisbergs bei Grüningen berechnet.
    »Und wie soll das gehen?«, fragte Henning.
    Isenhart legte es ihm in wenigen Worten auseinander, während Walther dabei die Züge des jungen von der Braake studierte, und was er entdeckte, rief Freude in ihm hervor.
    »Auf diese Art hat Ptolemäus die Planeten vermessen«, knüpfte er an die Erklärung seines einstigen Schülers an, »denn mit der Position der Messung, der Entfernung zum Objekt und der Höhe des Objekts selbst ergibt sich – denkt man sich all das in Linien – ein Dreieck.«
    »Das ist richtig«, stellte Isenhart verblüfft fest. Die Verblüffung rührte aus dem Umstand, dass ihm das Augenscheinliche bisher verborgen geblieben war.
    »Damit ist der Winkel der beiden Linien zu dem Planeten errechenbar«, wandte Henning die Aussage sofort auf den Almagest an. Dieses Mal war es an Isenhart, beeindruckt zu sein.
    »Und mit der Sinusfunktion kann auf die Kathete und anschließend auf die Länge der Gegenkathete geschlossen werden – womit die Entfernung des Planeten von der Erde berechenbar wird«, führte Walther von Ascisberg den Gedanken zu Ende.
    Keiner der beiden fühlte sich zu einer Nachfrage bemüßigt. Walther war erfüllt von Wärme, die sich von der Mitte seines Körpers zu allen Seiten ausdehnte und auf diese Weise bis zu den Zehen und Fingerspitzen vordrang. Es war Glück, das er wahrnahm. DasGlück des Moments, das sofort von dem Gedanken an seinen Tod überschattet wurde. Ja, er würde eher gehen als diese beiden, an deren Seite und in deren Mitte er nur allzu gerne weiter in den Kosmos des Unbekannten vorgestoßen wäre.
    Das aber war der Lauf der Dinge. Zu hadern veränderte nichts, also untersagte er es sich.
    »Und was ist der zweite Punkt, der Euch erstaunt hat?«, fragte Henning.
    Walther musste schmunzeln, weil ihn zwei wissbegierige Augenpaare ins Visier nahmen. »Dass wir heute keinen Schritt weiter sind, als es Ptolemäus seinerzeit war – der Almagest ist immerhin fast tausend Jahre alt. Das gibt mir zu denken. Wie kann es sein, dass sich in tausend Jahren nichts getan hat?«
    »Ist denn auch alles wahr, was im Almagest steht?«
    »Ja und nein«, antwortete von Ascisberg, »die Bahnen der Gestirne scheinen mir korrekt, aber ich habe nicht mehr genug Zeit, um sie allesamt zu überprüfen. Anderes ist barer Unsinn und längst überholt.«
    Als Beispiel für diesen Unsinn erzählte Walther ihnen von einem

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