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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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abgesehen. Möglicherweise würde es ihm gelingen, sich Tutenhoven bereits zu Walthers Lebzeiten unter den Nagel zu reißen. Aber da Zolner den Gesprächen der beiden meist nicht zu folgen imstande war, tat er, was in seiner Macht stand: sich mit einem Dolch bewaffnen und darauf achten, dass der Besuch nicht die Gelegenheit erhielt, etwas in Speise oder Trank zu streuen.
    Dieses Mal brachte Isenhart einen jungen Herrn mit. Zu Pferde. Ein gut betuchter Begleiter, denn seine Kleidung bestand aus feinem Leinen, wie Zolner für sich festhielt. Aber bevor er Henning von der Braake, wie Isenhart ihn ihm vorstellte, näher auf den Zahn fühlen konnte, übernahm Cecilia den herzlichen Teil der Begrüßung. Sie drückte Isenhart, kaum war er aus dem Sattel gestiegen, an ihren wogenden Busen.
    »Ihr müsst hungers sterben!«, rief sie aus und packte den verblüfften Henning bei der Hand, um ihn in die Küche zu zerren.
    »Spira ist nur eine Meile entfernt«, rief Zolner ihr hinterher. Aber Cecilia reagierte nicht.
    Henning warf Isenhart einen hilflosen Blick zu, um noch das breite Lächeln des Freundes zu erhaschen, bevor er nach allen Regeln der Kunst gemästet wurde. Es gab Brennnesselsuppe – der Geruch erinnerte Isenhart unweigerlich an Anna –, anschließend Brot und Ziegenkäse. Und dazu einen Humpen selbst gebrauten Bieres. Cecilia wachte streng darüber, dass keiner einen Krümel auf seinem Holzteller übrig ließ.
    Im Winter hätte sie sich diese Bewirtung kaum leisten können,aber Zolner hatte keinen Zweifel daran, dass es seiner Amme selbst unter widrigsten Umständen gelungen wäre, ein würdiges Mahl zusammenzustellen.
    »Wo ist Walther?«, fragte Isenhart, der Mühe hatte, das letzte Stück Ziegenkäse in seinen Magen zu befördern.
    »Oben, bei den Tannen«, antwortete Cecilia, »schon seit den Mittagsstunden.« Leichte Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
    »Und was macht er dort?«, fragte Henning, um etwas zu sagen.
    »Er denkt«, erwiderte Zolner und behielt die Hände von Isenharts Begleiter im Auge. Ihn konnte man nicht täuschen. Er war auf der Hut.
    Er ist kleiner geworden, schoss es Isenhart durch den Kopf. Sein Mentor war geschrumpft. Das Leinen schlackerte um seine Beine und Handgelenke, der Schädel arbeitete sich auf dem Weg zum Tod durch die Haut. Aber noch war es nicht so weit, noch blieb ihm Zeit. Walther erhob sich, als sie die Anhöhe emporkamen, und schenkte ihnen ein dreizahniges Lächeln.
    Zu seinen Füßen lag ein dicker Band aus Pergament im Gras. Isenhart bemerkte bei einem Seitenblick auf Henning, dass dieser die Augen voller Neugier darauf richtete.
    Isenhart stellte die beiden einander vor, sie reichten sich die Hände und ließen ihre Blicke für einige Augenblicke ineinander ruhen, bevor sie ihre Finger wieder aus dem gegenseitigen Griff entließen.
    »Von der Braake«, murmelte von Ascisberg, »ist Euer Vater nicht Medicus in Spira?«
    »So ist es«, antwortete Henning. Er lächelte.
    Walther trat sehr nahe an ihn heran und nahm die Zähne in Augenschein, bis Henning ein wenig verwundert den Mund schloss. Walther grinste amüsiert. »Nur eine weitere Eigenart«, sagte er beschwichtigend, »mit zunehmendem Alter sammelt man sie wie die Falten. Ihr habt ein gesundes Gebiss, gebt darauf acht.«
    »Ich reinige meine Zähne alle drei Tage«, gab Henning zurück.
    »Reinigt sie täglich, und sie bleiben Euch länger erhalten. Die Muselmanen tun es, und es gibt eine Menge, was wir noch von ihnen lernen können.«
    Er setzte sich auf ein Kissen aus Schafwolle. Es war zu einerAngewohnheit geworden, es überall mit sich herumzutragen, das Gesinde tuschelte schon, was Walther von Ascisberg nicht weiter kümmerte, denn Gesinde tuschelte immer. Anlass zu Sorge gab es für gewöhnlich erst, wenn es verstummte.
    »Was lest Ihr da?«, fragte Henning und deutete auf den Band zu Walthers Füßen.
    »Den Almagest«, antwortete Walther.
    Während Isenhart mit dem Wort nichts anzufangen wusste, verdoppelte der Klang dieses Namens die Schlagzahl von Hennings Herz. »In welcher Sprache?«, fragte er.
    »Latein«, antwortete Walther von Ascisberg, der sein Gegenüber aufmerksam betrachtete.
    Die Freude, die Henning über den Almagest in lateinischer Sprache empfand, war ebenso unübersehbar wie echt. Und Isenhart brauchte keine Worte mehr, um seinem Mentor zu erklären, weshalb er Henning mitgebracht hatte, Walther verstand auch so. Derer, die beim Anblick von beschriebenem Pergament Freude empfanden,

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