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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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gewissen Aristarchos von Samos, der 400 Jahre vor Ptolemäus’ Verfassen des Almagests die These aufgestellt hatte, die Erde sei eine Kugel, die sich um die Sonne drehe. Wobei Ptolemäus den Gedanken der Kugelgestalt teilte, die Idee eines heliozentrischen Weltbildes dagegen nicht. Von Ascisberg indessen erschien beides ohne Hand und Fuß.
    Ihm, führte Walther belustigt aus, sei keine Krümmung aufgefallen, wenn er von hier über das Land blickte, natürliche Erhebungen oder Vertiefungen wie Berge und Täler einmal ausgenommen. Und ohne Krümmung kein Bogen und damit auch kein Volumen, wodurch die Kugel sich nun einmal von einer Scheibe unterscheide. Und was die Sonne als Mittelpunkt des Universums betreffe, so sei es doch offensichtlich, dass sie – wie alle anderen Gestirne auch – von Osten nach Westen über die Himmelsphäre wandere und sie folglich umkreise.
    »Von diesen Verfehlungen abgesehen«, beendete er seine Ausführungen, »waren die Griechen uns voraus. Sehr beschämend.«
    »Der Name ist mir nicht geläufig«, stellte Walther fest, als Isenhart und Henning ihn über Aberak von Annweiler unterrichteten – und dem, was er vermutlich getan hatte.
    »Gemessen an dem, was ihr wisst«, fügte er hinzu, »halte ich es mit dir, Isenhart. Es deutet alles darauf hin, dass der Mörder von Anna von Laurin auch der Mörder der Wirtshaustochter ist.«
    »Aber von Annweiler ist seit mehr als zehn Jahren tot«, wandte Henning von der Braake ein, »der Mörder muss seinen Namen benutzen.«
    Walther von Acisberg nickte. »Entweder das oder es sind die Taten eines Draugr.«
    »Ihr glaubt an Wiedergänger?«, fragte Henning.
    »Ich glaube an den freien Geist«, sagte Walther, »und der freie Geist verneint nicht, was er nicht widerlegen kann. Ein Grundsatz der Logik.«
    »Niemand hat je einen Draugr gesehen«, hielt Isenhart ihm entgegen.
    »Falsch«, erwiderte der alte Mann, »niemand ist je einem Draugr begegnet und konnte danach noch davon berichten.«
    Hennings Mund verzog sich zu einem anerkennenden Lächeln, während Isenhart realisierte, dass seine Zunge schneller gewesen war als sein Verstand.
    »Der Mensch empfindet Argwohn gegen alles Neue und alles Fremde«, führte Walther von Ascisberg aus, »all das, was er nicht kennt – und das ist eine Menge –, bereitet ihm Unbehagen. Der Allmächtige hat uns so geschaffen, dass wir stets gewappnet sein wollen. Deshalb stellen wir uns immer auf das Schlimmste ein, um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein. Aber nicht alles Neue ist auch gleichzeitig schlecht. Es ist nur die Freude an der Behäbigkeit des Denkens, die uns Ruhe und Bequemlichkeit spendet, die wir nicht aufgeben wollen. Es ist bequem, Wiedergänger nicht in Betracht zu ziehen, aber deshalb muss es noch nicht wahr sein.«
    Er sah von Henning zu Isenhart, um festzustellen, dass die beiden begriffen hatten, wovon er sprach.
    »Also haltet Ihr einen Wiedergänger in diesem Fall für möglich«, hielt Henning fest.
    »Möglich, ja. Wahrscheinlich: nein. Aber man kann es nicht ausschließen. Weshalb man es auch nicht tun sollte.«
    Isenhart verspürte ein inniges Gefühl der Zuneigung diesem alten Mann gegenüber. Sein Fleisch wurde schlaff, die Haut welk, aber ihm wohnte ein Geist inne, so lebendig, dass er lässig über Zäune sprang und über die Äcker lief.
    »Der Mörder hat rote Haare und nur einen Arm«, ließ Henning von der Braake ihn wissen.
    Walther von Ascisberg stutzte kaum merklich bei der Erwähnung dieser Äußerlichkeiten. Henning entging dieser Moment, in dem die Lider des Alten zweimal kurz hintereinander über die Pupillen fuhren und er im Anschluss den Blick zu Boden richtete. Aber Isenhart bemerkte ihn. »Habt Ihr je von so einem Mann gehört?«, hakte er nach.
    »Nein«, erwiderte Walther sofort, »nein, habe ich nicht.«
    Als sie am nächsten Morgen die Pferde sattelten, trat plötzlich Zolner zu ihnen.
    »Mein Herr lässt Euch grüßen«, sagte er tonlos, »und bittet zu entschuldigen, dass er Euch nicht persönlich verabschieden kann. Aber in Spira erwarten ihn wichtige Geschäfte. Er hat Tutenhoven schon vor anderthalb Stunden verlassen.«
    Henning nickte, frei von jedem Argwohn.
    Isenhart allerdings suchte der Gedanke heim, die Reise seines früheren Lehrers, dieses wichtige Geschäft, das offensichtlich keinerlei Aufschub duldete, könnte mit dem Stutzen des gestrigen Tages zusammenhängen. Aber dann verscheuchte er diese Überlegung, denn sie setzte Walther von

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