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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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den Sturm an.
    »Der göttliche Funke«, erwiderte Walther.
    Sein Wort entmutigte die beiden jungen Männer. Natürlich – wenn Gweg das Fliegen erst und letztlich durch Gottes Wille ermöglicht wurde, standen sie vor einer unlösbaren Aufgabe.
    »Dann können wir die Versuche abbrechen«, schloss Isenhart. Er bemühte sich, sachlich zu klingen, doch überhörte Henning die Wehmut, die seinen Worten nachklang, keineswegs.
    »Wer sagt«, rief er gegen das Heulen des Windes an, »dass der göttliche Funke nicht berechenbar ist?«
    Isenhart und Walther von Ascisberg erstarrten.
    Der alte Mann fing sich als Erster: »Du meinst, wir sollen die göttliche Substanz, die in allen Dingen liegt, mathematisch umreißen? Ihr eine Gestalt geben?«
    Henning nickte.
    Der Gedanke erschien Isenhart ebenso unerhört wie verlockend.
    »Du sollst dir kein Bildnis machen«, antwortete Walther und erhob sich, um Henning einen ernsten Blick zuzuwerfen.
    »Es ist nicht direkt ein Bildnis«, erwiderte Henning.
    Aber Walter deutete ein Kopfschütteln an. »Der Schöpfer ist mit Mathematik nicht zu fassen.«
    Henning hob abwehrend die Hände: »Das war nicht mein Ansinnen. Natürlich ist der Allmächtige nicht fassbar. Aber wie Ihr ganz richtig sagt, liegt sein Wesen in allen Dingen, hat er alles geschaffen, den Menschen, jeden Halm, jeden Wassertropfen – und die Vögel. In all seinen Schöpfungen lassen sich bestimmte Muster erkennen.«
    »Der Mensch ist ein Vielfaches der Länge seiner Elle«, fügte Isenhart hinzu und zitierte damit Walther, der ihn und Konrad dies einst in der Burg Laurin gelehrt hatte.
    Henning nickte eifrig, erfreut darüber, dass Isenhart erkannte, worauf er hinauswollte. »Nehmt den Satz des Pythagoras …«, begann er, wurde aber von Walther unterbrochen.
    »Du sprichst von der Systematik des Lebens«, sagte von Ascisberg, und Henning nickte erneut, »von dem Plan, der den Dingen innewohnt. Vom göttlichen Prinzip.«
    »Ja«, bestätigte Henning erleichtert, »und warum sollte das göttliche Prinzip des Fliegens ein Geheimnis bleiben?«
    »Was treibt ihr da eigentlich?«, ertönte eine ihnen wohlbekannte Stimme. Sie sahen sich um. Hieronymus stakste auf sie zu. Walther, Isenhart und Henning wechselten schnell und stumm ein paar Blicke, die von ihrem Unwillen kündeten, sich über all das mit Hieronymus auszutauschen.
    »Wir versuchen, uns die Kraft des Windes zunutze zu machen«, rief Isenhart zurück.
    »Mir sieht es eher danach aus, als ob ihr so etwas wie Flügel hergestellt habt!«
    »Das täuscht«, sagte Walther von Ascisberg,
    »Ihr habt recht«, entgegnete Henning, »sie sehen tatsächlich aus wie Flügel. Dabei sind es nur die Konstrukte für ein Windrad.«
    Hieronymus erreichte sie. Die Zusammenkunft dreier Irrer – wenn auch harmloser Natur – rief eine elementare Skepsis in ihm hervor.
    »Der Herrgott schickt uns den Wind«, sagte Walther ruhig, »aber wir waren bisher nicht in der Lage, dieses Schöpfergeschenk zu würdigen. Die Kraft des Windes kann uns die Arbeit erleichtern. Der Wind kann Wasser schöpfen und Korn mahlen.«
    Hieronymus musterte ihn, aber in Walthers Gesicht war kein Anzeichen einer Belustigung auszumachen.
    »Bei allem, was uns trennt«, begann der Geistliche – und das war mehr als ein Schiff laden konnte, wie er für sich feststellte –, »habe ich Euch stets geachtet. Jetzt aber …«
    »Fackeln!«, rief Isenhart, »wir brauchen Fackeln und mit Öl getränktes Leinen!«
    »Wozu?«, rief Henning zurück.
    »Um dem Wind Gestalt zu geben«, antwortete Isenhart. Die Begeisterung über seinen Einfall ließ ihn strahlen, und während Henning noch darüber rätselte, wie Isenhart dem Wind Gestalt verleihen wollte, nickte Walther von Ascisberg mit unverhohlener Anerkennung: »Das ist es!«
    Sie machten sich auf und ließen Hieronymus einfach stehen.
    Nur sechs Stunden später hatten sie sich in der Hallenkrypta des Doms von Spira vor Bischof Otto  II . von Henneberg für ihre Taten zu verantworten.
    Walthers Urgroßvater, ein Steinmetz, war Zeuge gewesen, als 1027 der Grundstein des Doms gelegt worden war, dessen Bau mit der Hallenkrypta seinen Anfang nahm, im Auftrag Konrad  II ., des ersten Fürsten aus dem Geschlecht der Salier, der den Thron bestieg.
    Die Krypta lag unterhalb des Hauptschiffes, war aber kein gedrungener Raum, sondern bemaß sich in der Höhe auf ganze 21 Fuß – und dehnte sich auf einer Fläche aus, die den Gebäuden von Heiligster genug Platz

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