Isenhart
drei Männer da mitten in einer Sturmnacht trieben, bestimmen können. Allerdings war nicht zu bestreiten, dass sie sich angemaßt hatten, aus eigener Kraft in den Himmel emporzusteigen.
Der Novizenmeister ließ sie einzeln den Eid abgeben, in dieser heiligen Halle ausschließlich die Wahrheit zu sagen. Auf Meineid stand der Tod, wie Henning, Walther und Isenhart bewusst war, und deshalb schien es wenig angebracht, dem Bischof, der Isenharts Flugversuche mit eigenen Augen gesehen hatte, etwas von Windrädern oder dergleichen aufzutischen.
Also räumten sie ein, das Flugverhalten von Vögeln erforscht zu haben.
Von Henneberg nahm Isenhart ins Visier, und das hatte drei praktische Gründe. Henning von der Braake war der Sohn des Medicus, der ihn geheilt hatte. Das verpflichtete ihn zu Dank diesem Mann gegenüber, auf dessen Kunst er womöglich erneut angewiesen sein könnte. Ein Schmerz am Steißbein begann ihn zuplagen, und wenn er Henning von der Braake einer drakonischen Strafe zuführte, bedankte sein Vater sich vielleicht mit einem vergifteten Heiltrank.
Für Walther von Ascisberg verwendete sich Simon Rubinstein mit seinem einwandfreien Leumund. Rubinstein war ein einflussreicher Mann, denn er war nicht nur schlau, sondern auch vermögend. Das bezeugten wertvolle Spenden, die sich nicht auf die jüdische Gemeinde beschränkten, sondern von denen auch der Klerus profitierte, insbesondere er selbst. Mit einer Bestrafung dieses alten Mannes würde er sich ins eigene Fleisch schneiden.
Zu guter Letzt hatten von der Braake und von Ascisberg lediglich Fackeln gehalten. Hatten lediglich ein wenig Licht in eine dunkle Sturmnacht gebracht, wenn man es zu ihrem Vorteil auslegen wollte, wozu er durchaus gewillt war.
So blieb nur noch die schmale Gestalt mit dem merkwürdigen Namen: Isenhart.
»Du«, richtete er deshalb das Wort an Isenhart, »tritt vor.«
Isenhart zögerte kaum merklich und tat dann, wie der Bischof von ihm verlangte. Das Fußeisen nötigte ihn zu kleinen Schritten. Eben noch im Halbdunkel stehend, konnte Otto II . von Henneberg sich jetzt ein genaueres Bild von dem Mann machen, der die Flügel getragen hatte. Henning und Walther wechselten einen besorgten Blick.
»Ist hier sonst noch jemand?«, hatte einer der Templer in Heiligster gefragt.
»Nein«, brüllte Walther aus Leibeskräften, »nein, hier ist sonst niemand!«
Hieronymus, der verärgert zu den Gebäuden zurückgekehrt war, verstand. Er ließ sich nicht blicken und musste Konrad und Henrick davon abhalten, den dreien zur Hilfe zu eilen, als sie auf Weisung des Bischofs mit dem Tross gen Spira verschleppt wurden.
Der Geistliche stellte sich vor die Tür, als Konrad nach seinem Schwert griff und hinausstürmen wollte. »Du musst an mir vorbei, Konrad von Laurin, und ich werde …«
»Verzeiht, Vater«, erwiderte Konrad, während er Hieronymus am Arm packte und wenig zimperlich zur Seite zog, sodass sein ehemaliger Lehrer unsanft gegen die Wand stieß. Konrad öffnete die Tür, aber Marie schlug sie wieder zu und versperrte ihm den Weg.
So energisch hatte er sie noch nie erlebt, ihr Blick bohrte sich in den seinen. »Du darfst nicht gehen«, sagte sie mit fester Stimme.
Sie konnte schon ein Sturkopf sein, dachte Konrad. »Isenhart hat mir das Leben gerettet. Und selbst, wenn nicht. Mehr muss nicht gesagt werden.« Er griff zum Türring, als hinter ihm eine Stimme erklang.
»Isenhart will es nicht.«
Sie alle wandten sich um. Sophia stand dort in ihrem langen Nachtgewand, die roten Haare standen wild von ihrem Kopf ab. Sie trat näher, aber ihr Blick galt allein ihrem Bruder, der tatsächlich zögerte.
Mit Sophia erging es ihm ähnlich wie mit Isenhart. Das Band zwischen ihm und Isenhart, zwischen dem Herrn und dem Unfreien, war ungewöhnlich. Zumal Konrad sich eingestehen musste, einen jungen Mann zum Freund zu haben, der ihn in geistiger Hinsicht weit in den Schatten stellte. Selbstverständlich artikulierte er das nie – ebenso wenig wie seine Einsicht in das Wesen seiner Schwester, denn es war wider die Natur, wider die göttliche Ordnung, eine Frau vorzufinden, die klüger war als ein Mann. Klüger als ihr Bruder. Aber genau so verhielt es sich nun einmal.
»Wilbrand von Mulenbrunnen hat die Suche nach uns nie aufgegeben«, fuhr Sophia fort, denn sie war sich durchaus bewusst, wie sehr man ihren impulsiven Bruder aus der Reserve locken könnte, hätte man sie zur Geisel. »Wenn du dich jetzt einmischst oder Fürsprache
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