Isenhart
er ist und bleibt ein Pechvogel.«
»Aber ein schlauer«, wandte Sophia ein.
»Ja, schlau. Aber immer noch ein Pechvogel«, erwiderte der Geistliche und biss in den Käse, »mit Honig schmeckt der Käse wirklich ganz besonders.«
Isenhart kehrte an den Tisch zurück.
»Und? Wie macht sich der kleine Dolph?«, fragte Hieronymus.
»Gedeiht«, gab Isenhart zurück.
Dann ging eine Erstarrung durch Henrick, und die Ehe war vollzogen. Er und Ursel glätteten hastig ihre Kleider und setzten sich zu ihnen, um umarmt und beglückwünscht zu werden. Erst jetzt, mit dem unter Zeugen vollzogenen Akt, war ihre Eheschließung rechtskräftig.
»Ich weiß nicht«, vertraute Ursel sich Sophia und Marie an, »ich habe das noch nie unter den Blicken Fremder getan.«
»Gott ist kein Fremder«, wies Hieronymus sie zurecht.
Die Tür krachte so heftig gegen die Holzwand, dass sie alle auf der Stelle aufwachten. Isenhart, Henning und Sophia schossen von ihrem Lager hoch und erblickten eine hagere Gestalt, durch deren Gewänder der Vollmond schien und ihnen eine knöchrige Gestalt präsentierte.
Im ersten Augenblick hatten sie den Eindruck, als stünde der Schnitter höchstpersönlich in der Tür, um sie zu holen und zu ihren Vorfahren zu geleiten.
»Sturm kommt auf!«, rief Walther von Ascisberg freudig, während es ihn alle Mühe kostete, die Tür nicht dem böigen Wind zu überlassen, der daran zerrte.
Der starke Westwind hatte sich zu einem Sturm ausgewachsen, der Gebäude und Bäume durchschüttelte und, da er sich zu einem Orkan steigerte, das spätsommerliche Laub von den Zweigen riss.
Für gewöhnlich galt ein Haus dann als sturmfest, wenn es drei Männern mit vereinten Kräften nicht gelang, es auf die Seite zukippen. Heiligster sollte ihm standhalten, aber der Sturm war genau das, worauf Isenhart inständig gehofft hatte.
Auf den Streifzügen mit Gweg hatte er für jenen Anteil an Luft, der sich nicht den Weg in den Himmel bahnen konnte, wie es ihm gottgewollt bestimmt war, und sich deshalb unter den Flügeln ansammelte und sie emporhob, den Begriff Unterwind gewählt.
Nachdem Isenhart, Henning und Walther eine kleine Anhöhe erreicht hatten, befestigte Isenhart mit Hennings Hilfe die beiden Flügel an seinen Armen und bewegte sie auf und ab. Senkte er die Flügel, spürte er das Luftkissen, das sich unter ihnen bildete. Und umso jäher die Abwärtsbewegung ausgeführt wurde, desto kompakter die Luft, die sich unter den Flügeln staute und nicht schell genug zur Seite entweichen konnte.
Einmal nur, der Schweiß troff ihm bereits von der Stirn, hob er ab. Ein paar Fingerbreit.
Aber das erneute Flügelschlagen, das ihn weiter in die Lüfte erheben sollte, drückte die Luft über ihm zusammen und presste ihn zurück zum Erdboden. Auf diese Weise, stellten sie alle – Isenhart, Henning und Walther – fest, würde er niemals an Gwegs Seite den Raum über ihm erobern.
Aber worin lag der Unterschied? Die Größen- und Kräfteverhältnisse hatten sie berechnet. Länge und Durchmesser der Flügel standen im Einklang zu Isenharts Gewicht.
Walther schüttelte ein ums andere Mal den Kopf, während Isenhart mit den Flügeln schlug.
»Wenn die Abwärtsbewegung der Flügel dieselbe Menge an Luft komprimiert wie die Aufwärtsbewegung«, stellte Henning fest, »dann ist das Fliegen nicht möglich. Das, was Isenhart abheben lassen müsste, zwingt ihn mit der Aufwärtsbewegung auch wieder zu Boden.«
Walther nickte, während Isenhart sich auf der kleinen Anhöhe weiterhin abmühte, etwa, indem er den Anstellwinkel veränderte, der ihn zwar nach vorne presste, nicht aber in die Höhe.
»Unter ausschließlich mathematischen Gesichtspunkten dürfte Gweg nicht fliegen können«, erhob der alte Mann seine Stimme gegen den Sturm, »aber genau das tut er. So wie alle anderen Vögel auch.«
Isenhart gab es auf, er zog die Arme aus den Lederschlaufen, ließ die riesigen Flügel auf den Boden gleiten und gesellte sich enttäuscht zu ihnen. »Es gibt eine dritte Kraft«, sagte er, »die wir nicht berücksichtigt haben. Eine, über die Gweg verfügt. Deshalb kann er fliegen und wir nicht.«
»Entweder«, fasste Walther zusammen, in dessen Augen trotz der fehlgeschlagenen Versuche noch immer der Glanz der Neugier schimmerte, »uns ist bei der Konstruktion der Flügel ein Fehler unterlaufen, oder wir versuchen etwas zu berechnen, was sich der mathematischen Betrachtung entzieht.«
»Und das ist was?«, rief Henning von der Braake gegen
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