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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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sich einig und bestätigt zu finden.
    Mit der Fürsorge um Gweg hatte es im Grunde begonnen, seinen Fortgang in den Gesprächen, die Isenhart und Walther von Ascisberg führten, genommen und in den Zusammenkünften mit Henning von der Braake seinen Zenit erlebt, um hier, in diesem Gewölbe, unabweislich zu werden: Isenhart entfernte sich von ihm. Konrad griff nach ihm, immer wieder, in kleinen Gesten und Worten, aber er entglitt ihm zusehends. Ihm war, als ginge die Sprache zwischen ihnen verloren, als büßten sie täglich ein Quantum an Wörtern ein, die ihnen nicht mehr zur Verfügung standen, bis siesich immer weniger austauschen konnten – und irgendwann dann überhaupt nicht mehr. Weil es keine gemeinsamen Wörter mehr gab.
    »Was ist das?«, fragte Henning und holte Konrad damit aus seinen Gedanken zurück. Auf dem Pergament war ein menschlicher Körper zu sehen, in dessen Innerem sich eine Vielzahl von Linien zog. Große, dunkle Linien, die – teilte man den Körper im Geiste durch einen vertikalen Schnitt – sich links und rechts spiegelten.
    Aus den schwarzen Strichen entsprangen kleinere, die sich abermals verästelten und einfach aufhörten.
    »Ich weiß nicht«, bekannte Isenhart.
    »Vielleicht ist es der Weg, den das Blut nimmt«, vermutete Günther.
    Isenhart betrachtete die Linien erneut. Sie zogen sich bis in die Füße, Hände und in den Kopf. Und ihr Zentrum lag oben in der Brust. Vom Herzen aus nahmen sie ihren Weg. Isenhart nickte. »Ja«, sagte er, »ganz gleich, wo wir uns verletzen, immer fließt Blut. Es ist überall.«
    »Also mordet er … aus Neugier?«, fragte Henning.
    »Er hat drei Jungfrauen das Herz genommen«, erinnerte Günther ihn, »er hat sie nicht ausgeweidet. Und um das da zu zeichnen, hätte er es tun müssen.«
    »Das stimmt«, gab Henning seinem Vater recht.
    »Was für ein Wissen«, raunte Isenhart.
    »Du bewunderst diesen Schlächter doch nicht etwa?«, fragte Konrad verärgert.
    Isenhart wandte sich ihm zu, und Konrad war verwundert über die zornige Falte, die von der Nasenwurzel des Freundes senkrecht bis zur Stirn verlief. »Ich habe mich geirrt«, bekannte Isenhart, »ich war überzeugt davon, dass wir einen Mann jagen, der den Verstand verloren hat. Oder einen Wiedergänger. Oder beides. Aber«, er tippte mit dem Zeigefinger auf die Pergamente in seiner Hand, »Michael von Bremen ist kein Wahnsinniger, sondern ein Gelehrter. Vielleicht … vielleicht sogar ein Genie.«
    Die letzten Worte waren ihm Annas wegen nur schwer über die Lippen gekommen, nichtsdestotrotz entsprachen sie seinen Gedanken.
    Erneut hatte Konrad das Gefühl, dass ihnen noch mehr Wörter abhandenkamen. »Er hat Anna ermordet«, stellte er bitter fest.
    »Du musst mich daran nicht schon wieder erinnern«, erwiderte Isenhart gereizt.
    »Wie kannst du das hier dann bewundern?«
    »Weil es unschätzbar wertvolles Wissen ist!«
    Henning und Günther nahmen sich zurück, Isenhart und Konrad standen sich gegenüber, beide erfüllt von dem Wunsch, den anderen zu erreichen, beide aber auch entschlossen, ihren Standpunkt nicht aufzugeben.
    »Das hier«, fuhr Isenhart fort und tippte auf das Pergament in seiner Hand, »ist die Zukunft. Und es ist vielleicht die Antwort darauf, wie man Kranke und Sieche besser behandeln kann als mit der Viersäfte-Theorie.«
    »Dafür hat er Menschen ausgeweidet«, brachte Konrad mit einem Zorn hervor, von dem schwer zu sagen war, ob er den Taten Michaels von Bremen galt oder Isenharts Haltung.
    »Natürlich! Wie hätte er sonst diese Zeichnungen zu Pergament bringen können?«, erwiderte Isenhart nicht weniger aufgebracht.
    Unvereinbar standen sie sich gegenüber. Aus Konrads Sicht drehte der Disput sich bereits im Kreis. »Er hätte das niemals tun dürfen. Und ich fasse nicht, dass du dem Mörder meiner Schwester dafür Anerkennung zollst«, brachte er seinen inneren Aufruhr auf den Punkt.
    Was Isenharts Unmut nur weiter steigerte. »Ich bewundere ihn nicht«, stellte er fest, wobei er sich gleichzeitig bemühte, seine Stimme nicht zu erheben, was ihn eine Menge Kraft kostete, »ich habe lediglich Respekt vor seiner Neugier. Das ist ein Unterschied!«
    »Du hast Respekt vor dem Mann, der deiner Liebe das Herz herausgerissen hat? Versteh ich das richtig? Ist das dein Ernst?«
    »Hör endlich auf, das eine mit dem anderen zu vermischen, damit ich mich schuldig fühle«, brüllte Isenhart aufgebracht, »ich verzeihe Annas Mörder nichts. Und wir werden ihn richten.

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