Isenhart
Schultern. Der Stumpf seines linken Armes deutete ins Leere. Die schmale, lange Nase verlieh ihm im Zusammenspiel mit den schmalen Schlitzen, aus denen seine Pupillen sie beäugten, etwas von einem Raubvogel. Sein Alter war schwerlich zu schätzen.
Isenhart gestand sich ein, dass von Bremen eine imposante Gestalt abgab, vor der sich zu fürchten nicht weiter schwerfiel.
»Sprecht, oder ich schlage euch die Schädel …«
Bevor einer von ihnen sich äußern konnte, stürmte Konrad bereits auf ihn zu, riss sich im Laufen das Schwert vom Gürtel und setzte zum tödlichen Hieb an. Von Bremen wich nicht, er vollführte nur eine kurze, kräftige Bewegung mit seiner rechten Hand, und die mit stumpfen Spitzen bewehrte Kugel, die eben noch träge neben dem Stab baumelte, den er in seiner Rechten hielt, sauste so flink durch die Luft, dass ein Blick ihr kaum folgen konnte.
Der Schlag, den Konrad abwehren wollte, erfolgte nicht frontal, wie er es erwartet hatte, sondern in einem unvorhersehbaren Halbkreis. Beinahe hatte er Michael von Bremen erreicht, als die Kugel ihn dumpf am Kopf traf, ein Loch in seiner Schläfe hinterließ und ihn von den Beinen riss. Er schlug schwer auf. Es war Konrads zweite Begegnung mit den Tücken eines Streitflegels.
Günther lupfte die Armbrust.
»Wir sind Wachleute der Stadt Spira«, rief Isenhart und hob abwehrend die offene Hand, »wir sind hier, um Euch zu Eurem Prozess nach Spira zu geleiten, wo man über Euch das Urteil sprechen wird für jene, denen Ihr das Herz geraubt habt!«
Michael von Bremen, der zu einem zweiten Schlag ausgeholt hatte, verharrte mitten in der Bewegung und sah Isenhart direkt in die Augen.
»Wenn Ihr unschuldig seid«, fügte Henning eilig hinzu, »besteht kein Grund, Euer Heil im Kampf zu suchen!«
Isenhart war, als verzerrte sich die Zeit, als mühte sie sich langsam und gegen ihren Willen nach vorne. Die Bewegungen wurden langsamer, die Blicke dehnten sich.
Von Bremen duckte seine hochgewachsene Gestalt und setzte zur Flucht an. Günther zog den Hebel der Armbrust durch, der Bolzen wurde nahezu lautlos auf seine Bahn katapultiert und trafden Flüchtenden im Oberschenkel, der daraufhin zwar humpelte, aber in einer Gangöffnung zur Rechten verschwand.
Isenhart war sofort bei Konrad und hockte sich neben ihn. Er warf einen besorgten Blick auf die Wunde, während Henning und sein Vater an ihnen vorbeiliefen.
»Hör auf, mich anzustarren, mir geht’s gut«, fauchte Konrad, »sieh zu, dass diese Missgeburt uns nicht entwischt!«
Konrad verlor Blut, und sie kannten sich in den Gängen der Ruine nicht aus.
»Wir müssen logisch vorgehen«, flüsterte Henning.
Und das taten sie. Die einzige Fluchtmöglichkeit zu ihrer Seite hin bestand in dem Loch in der Decke, das Henning von der Braake aufgestöbert hatte. Also postierten sie Günther und Konrad dort. Der alte von der Braake hatte einen neuen Bolzen in die Armbrust gespannt und konnte nicht nur den Eingang bewachen, sondern auch ein Auge auf Konrad haben, der in die Hocke gegangen war, weil ihn die ersten Ausläufer hämmernder Kopfschmerzen heimsuchten.
Direkt hinter dem Einlass in der Wand, durch den Michael von Bremen verschwunden war, gabelte sich der Weg.
»Wir sollten uns nicht trennen«, sagte Henning. Isenhart nickte. Da hörten sie Schritte hinter sich und wandten sich um.
Konrad erschien, die linke Hand auf die Wunde gepresst. »Ich komme mit«, ließ er sie in einem Ton wissen, der keinen Widerspruch duldete.
Michael von Bremen kannte sich im Gegensatz zu ihnen in diesen Gewölben bestens aus. Und ungeachtet seiner Behinderung wusste er sich zu wehren. Aus diesem Grund bewegten sie sich langsam und mit offenen Augen und Ohren durch den Gang, der eine Biegung beschrieb, die ihre freie Sicht auf etwa sechs Fuß beschränkte.
Isenhart hielt sein Schwert fest umklammert, jeden Augenblick rechnete er damit, dass Michael von Bremen links oder rechts von ihnen aus einer Nische brach und sie attackierte.
Im gleichen Rhythmus mit ihm tastete auch Henning sich vor, wobei sie sich zwischendurch immer wieder mit Blicken des gemeinsamen Vorgehens vergewisserten.
»Wollt Ihr vielleicht noch Rast machen?«, fragte Konrad ungeduldig und schob sich wütend an ihnen vorbei, ihm ging es mal wieder nicht schnell genug. Mit Katheten, so viel war Konrad klar, war Michael von Bremen nicht aufzustöbern, und Debatten über die Gestalt der Erde würden ihn auch nicht zum Einlenken bewegen.
Glück, Gottes Segen
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