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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Grund dafür hätte benennen können.
    »Ich habe nur eine Frage an dich«, fuhr von Ascisberg fort, »du kannst dich an Sydal nicht erinnern. Aber vielleicht, vielleicht ist es dir möglich …« Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder den Haller Münzen auf der Tischplatte zu.
    »Fragt ruhig«, ermunterte Isenhart ihn.
    »Ich bin ein alter Narr, Isenhart.«
    »Fragt trotzdem.«
    Von Ascisberg sah ihn von der Seite an. Nun, eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Vater war unübersehbar. Er hatte Sydals Augen. »Du warst tot. Du warst … auf der anderen Seite. Erinnerst du dich daran?«
    Isenhart schüttelte den Kopf. Und Walther nickte. Er hätte es sich denken können, ja müssen und hatte sich trotz dessen zu dieser naiven Frage hinreißen lassen. Er sah nicht, wie Isenhart kurz schmunzelte. Es war nicht das innigste Band, das zwischen ihnen bestand, aber doch eines der stärksten: die Neugier. Die Frage nach dem Warum. Aus diesem Grund empfand Isenhart nicht nur Verständnis für die Frage, sie gebar auch eine neue Nähe, die er nicht empfinden wollte. Nicht hier, nicht jetzt.
    »Ihr hättet es mir sagen müssen.«
    Anders als erwartet, neigte der alte Mann nicht sein Haupt. Er reckte es auf seinem dürren, faltigen Hals, sein Blick war klar, als er antwortete: »Nein. Niemals.«
    Es kursierten Theorien von der Übertragbarkeit. Ausgehend von körperlichen Merkmalen, die Eltern an ihre Kinder weitergaben und die für jeden Betrachter offensichtlich waren, lautete die Frage, ob auch anderes von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Das Temperament gehörte in der allgemeinen Wahrnehmung dazu. Auch einige meist nachteilig empfundene Eigenschaften, als da waren die Trunksucht und all ihre Gesellen, das aufbrausende Wesen etwa, der Hang zum Spiel, die Untreue und vielerlei mehr.
    Walther von Ascisberg hatte die Angst umgetrieben, es könnte Sydal gelungen sein, sich mit der Beatmung des Säuglings in geistiger Hinsicht fortgepflanzt zu haben. Mehr noch: das Kind mit seinen ketzerischen und bestialischen Gedanken infiziert zu haben.
    »Das ist der ganze Grund«, schloss Walther, nachdem er Isenhart seine Motive dargelegt hatte, »denn was hättest du gewonnen, wenn du es gewusst hättest?«
    »Die Wahrheit.«
    Walther lächelte mit freundlicher Nachsicht: »Die Wahrheit. Sie ist ein unbequemes Ding. Jeder meint, sie zu wissen, aber niemand mag sie gesagt bekommen. Und die halbe Wahrheit ist nie die Hälfte der ganzen. Du suchst die Wahrheit, seit du denken kannst, ich weiß – ich suche sie auch schon mein ganzes Leben lang. Aber wir neigen dazu, sie immer auch dort zu suchen, wo es für uns nicht mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, sie zu finden.«
    »Die Wahrheit ist, dass meine Mutter eine Waise war. Und mein Vater ein mehrfacher Mörder«, entgegnete Isenhart, »und die Wahrheit ist, dass Ihr mir beides verschwiegen habt.«
    »Das ist die Wahrheit«, bestätigte Walther ihm, »aber die Wahrheit ist auch, dass du auf sie vorbereitet sein solltest, reif für sie und ihr gewachsen, wenn der Tag gekommen sein würde. Aber du bist ihr auch heute kaum gewachsen, du reagierst mit Trotz und Zurückweisung und verlangst, ich hätte sie dir sagen sollen, als du ihr noch viel weniger gewachsen warst. Ergibt das bei vernünftiger Betrachtung einen Sinn?«
    Isenhart schluckte unwillkürlich. Es gibt nichts Zwingenderesals die Logik, das waren die Worte seines Lehrers gewesen, und vor der Logik ging Isenhart jetzt in die Knie. Wie ein lähmendes Gift waren die Erzählungen über seinen Vater in seinen Kopf gedrungen. Endlich kannte er einen Teil seiner Wurzeln, endlich war seine Herkunft nicht länger irgendein Punkt in einem undurchdringlichen Nebel. Die Erleichterung darüber hielt sich die Waage mit der Fassungslosigkeit, die die Taten Sydals von Friedberg in ihm auslösten.
    Walther von Ascisberg hatte recht – mal wieder. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte ihn die Wahrheit womöglich aus der Bahn geworfen.
    »Das Silber, das ich nicht verwende, bringe ich Euch zurück«, sagte er daher.
    Walther von Ascisberg hatte Zolner angewiesen, Isenhart ihr bestes Pferd zu überlassen, was zwar zwangsläufig Zolners Unmut hervorrief, ihn aber nicht daran hinderte, der Anweisung klaglos nachzukommen. Als Isenhart das Tier sattelte, trat Walther an ihn heran und reichte ihm ein Medaillon. Darin befand sich das kleine Bildnis eines Mannes, der ein Kind über einen Fluss trägt.
    »Es ist der heilige

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