Isenhart
Christophorus«, erklärte von Ascisberg. »Er schützt seinen Träger vor dem unerwarteten Tod. Ich habe es immer bei mir getragen. Aber jetzt scheint mir, du brauchst den Schutz dringender.«
Zögernd nahm Isenhart das Medaillon entgegen, drehte und wendete es in seiner Hand.
Von Ascisberg spürte seine Unentschlossenheit. Also nahm er es ihm ab, öffnete den Verschluss der Kette, an der es hing, und legte es Isenhart um den Hals. »Mein Vater hat es von meinem Vorvater geerbt, mein Vater hat es mir vermacht, und da ich selbst keinen Sohn habe …«
Er ließ es unausgesprochen. Aber die Umarmung, in die er Isenhart schloss, war umso beredter. Isenhart sträubte sich nicht länger und nahm seinen Mentor ebenfalls in die Arme.
Gegen Abend erreichten sie Heiligster. Sophia und Konrad hatten ihn begleitet, denn zum einen waren ihnen die Hände gebunden,was Henning anging, und zum anderen meinte Konrad nach einer ganzen Woche der Enthaltsamkeit ein Ziehen in seinen Lenden zu spüren.
Isenhart, dem nicht daran gelegen war, dass Henrick sich nicht mehr als sein Bruder empfand, wartete, bis er und Ursel vom kleinen Bachlauf sich zu ihren Hühnern zurückzogen, bevor er Konrad, Sophia, Marie und Hieronymus von dem berichtete, was ihn so erschüttert hatte. Der Ofen wärmte sie dabei stets von einer Seite, weshalb sie nach wenigen Minuten ihre Sitzhaltung änderten, um nicht zu erfrieren oder geröstet zu werden.
Entsetzen, Mitleid, Anteilnahme, all das und noch mehr las er dabei in ihren Mienen. Untot, so sagte er einmal über sich selbst, und bis auf Sophia rückten die anderen kaum merklich von ihm ab.
»Deshalb«, schloss er seinen Bericht, »mache ich mich morgen auf den Weg nach Toledo.«
»Wozu?«, fragte Konrad. Isenhart, dessen Blick eben noch in den grünen Augen von Sophia von Laurin geruht hatte, sah seinen Freund an.
»Der Mörder hat sich gerichtet«, sprang Marie dem Vater ihres ungeborenen Kindes zur Seite.
»Und dein Vater ist tot«, fügte Konrad hinzu, »es ist vorbei.«
Isenhart deutete ein Nicken an. »Du bist der Stammhalter, Konrad. Du und Sophia, ihr seid die Letzten der Laurins. Aber ihr könnt einen Stammbaum euer Eigen nennen. Ihr habt Wurzeln.«
»Die hast du auch«, sagte Sophia.
»Sicher«, pflichtete Isenhart ihr bei, »meine Mutter war eine Waise, mein Vater ein Mörder. Viel mehr weiß ich nicht. Ich muss herausfinden, was mit ihm in Toledo geschehen ist.«
»Ich würde sagen«, meldete Hieronymus sich zu Wort, »er ist vom Glauben abgefallen.«
Isenhart nickte: »Aber warum? Warum gehen zwei gelehrte Männer nach Toledo, von denen einer ins Heilige Reich zurückkehrt und damit beginnt, Jungfrauen zu töten und ihnen das Herz zu rauben?« Er sah in ihren Gesichtern sein eigenes Unvermögen gespiegelt, darauf eine befriedigende Antwort zu finden.
Nichtsdestotrotz beantwortete Isenharts Enthüllung ihnen jeneungelösten Fragen, die sie seit Jahren mit sich herumtrugen. Hieronymus verstand nun, weshalb Walther sich des kleinen Bastards angenommen hatte. Er wollte verhindern, dass er zu der Bestie heranreifte, die sein Vater gewesen war. Und selbstverständlich hatte er Isenharts Herkunft verschleiert, denn ein untotes Kind hätte wie ein Fluch über der Burg gelegen, und keine Ritterschar wäre in der Lage gewesen, dem panischen Mob Einhalt zu gebieten, der das Kind zum eigenen Schutz ertränkt oder verbrannt hätte.
Der Geistliche fragte sich insgeheim, warum Walther von Ascisberg den Säugling nicht getötet hatte. Er selbst hätte es um Jesu willen getan. Damals. Heute meinte er um den Fehler zu wissen, den er damit begangen hätte. Isenhart mochte ein untotes Kind gewesen sein, ein wenig unheimlich, äußerst wissbegierig und schlau. Aber er war kein schlechter Mensch. Es gab niemanden, den man vor ihm hätte schützen müssen.
Sophia dagegen begriff, weshalb sie von ihm als jemandem geträumt hatte, der bereits einen Blick ins Jenseits geworfen hatte. Das hatte sie damals Anna gesagt, ohne zu wissen, was genau damit gemeint sein könnte. Ihr damaliger Traum von Isenhart hatte sie nicht getäuscht.
»Die Reise ist viel zu gefährlich«, stellte Konrad mit echter Sorge in der Stimme fest, »und es ist dabei kaum mehr zu gewinnen als ein paar Geschichten über deinen Vater.«
»Mag sein«, erwiderte Isenhart, »wahrscheinlich wird es genau so kommen, wie du sagst. Aber ich brauche Gewissheit.«
Gewissheit – ein Gedanke, der auch Hieronymus umtrieb, wie Isenhart
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