Isenhart
abermals dem Lauf des Tajo gefolgt waren, erging es nicht anders. Ein schmaler, steiniger Pfad, gerade breit genug für einen Karren, wand sich steil hinauf und endete vor einem Tor aus massivem schwarzen Holz.
Oben auf der Brüstung hatten sie niemanden ausmachen können. Isenhart saß ab, nahm den eisernen Ring in die Hand und hielt inne.
Hier, hinter diese Mauern hatte der Weg von Al-Hariq und seinem Vater geführt, hier hatte Sydal von Friedberg zehn Jahre seines Lebens zugebracht, um danach ins Heilige Römische Reich zurückzukehren und Jungfrauen das Herz aus dem Torso zu schneiden. Isenhart fragte sich, ob es eine kluge Entscheidung war, hinter dieses Tor zu treten. Zu sehen, was Sydal gesehen hatte, möglicherweise in den gleichen Abgrund zu blicken, der sich seinem Vater in der Puente aufgetan hatte.
Würden Konrad und er als dieselben Männer in ihre Heimat zurückkehren?
»Worauf wartest du?«, fragte Konrad von Laurin ungeduldig und schreckte seinen Freund damit aus den Gedanken auf.
Isenhart konnte beim besten Willen nicht sagen, ob er es ohne Konrads Begleitung bis hierher geschafft hätte. Als Henning in sein Leben getreten war, geriet der junge Laurin ganz zwangsläufig ins Hintertreffen, denn er teilte nicht ihre Interessen. Er fragte nie nach dem Warum, sondern er gab sich einfach mit dem Gegebenen zufrieden. So wie alle anderen auch.
Doch auf dieser Reise quer durch das Abendland war Konrad ihm erneut zum Bruder geworden. Ohne viele Worte zu verlieren, hatte er Marie und das ungeborene Kind zurückgelassen. Er hatte hier und da genörgelt und auch kindlichen Trotz an den Tag gelegt, aber nie, in keinem Augenblick, war ihm auch nur eine Silbe des Vorwurfs über die Lippen gekommen. Nie hatte er die Reise an sich infrage gestellt. Nie war er ihm von der Seite gewichen.
Und nun, mit dem Klopfen am Tor, führte Isenhart ihn möglicherweise ins Verderben. Er erinnerte sich noch sehr genau an jenen Nachmittag am Fluss, an dem Konrad ihn absichtlich gekränkt hatte, um ihn von dem Kreuzzug abzuhalten, für dessen Teilnahme der junge Laurin sich entschieden hatte.
Nun fühlte Isenhart den Zeitpunkt gekommen, sich dafür erkenntlich zu zeigen. Also teilte er Konrad seine Bedenken mit. Mit seinem ersten Satz, den er an den Freund richtete, rief er eine horizontale Falte auf dessen Stirn hervor, die sich mit jedem weiteren Wort zu vertiefen schien.
Schließlich – Isenhart hatte noch gar nicht geendet und alle möglichen Konsequenzen aufgezählt – schritt Konrad auf ihn zu und blieb ganz dicht vor ihm stehen. Er sah ihm wütend in die Augen. »Das sagst du mir jetzt? Nach sieben Monaten Reise? Nach den Alpen und dem Meer? Wir sind am Ziel, und was willst du nun? Willst du etwa umkehren? «
»Es war nur ein Gedanke.«
Konrad blickte zu Boden und schüttelte den Kopf, er war in der Tat fassungslos. »Du verstehst es wirklich, einen wütend zu machen.«
Isenhart wollte etwas erwidern, aber Konrad kam ihm zuvor, packte den Eisenring und ließ ihn so heftig gegen das Tor krachen, dass Isenhart glaubte, man könne es zweifelsohne noch bis nach Toledo hören.
»Ich hab nämlich Hunger«, ließ Konrad ihn wissen.
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25.
as Tor öffnete sich und gab den Blick frei auf eine einsame Gestalt im sandigen Burghof. Es war ein Maure, in schwarze Wolle gehüllt, den Blick auf sie gerichtet. Sein Bart quoll seine Wangen hinab, kräuselte sich am Kinn und stand von dort ausgehend im spitzen Winkel ab. Mit einer angedeuteten Verbeugung und einer ausladenden Geste seiner rechten Hand bedeutete er ihnen, die Burg zu betreten.
Isenhart und Konrad waren wieder aufgesessen und führten ihre Pferde in den Hof, in dem bis auf den Mann vor ihnen niemand sonst zu sehen war.
Ein donnerndes Krachen ließ sie herumfahren. Zwei spanische Wachleute hatten das Tor hinter ihnen geschlossen, einer der beiden ließ den Querbalken herabsausen, der den möglichen Fluchtweg verriegelte. Oberhalb des Tores, auf der Brüstung, erhoben sich an die zwanzig maurische Bogenschützen aus ihrer hockenden Haltung und blickten zu ihnen hinab. Gleichzeitig öffneten sich die Türen der Wachräume zu beiden Seiten des Tores, und ein Dutzend mit Krummsäbeln bewehrter Mauren, ebenfalls in schwarzer Kleidung, kam ruhigen Schrittes in gefächerter Formation auf sie zu. Sie nahmen keine Angriffsposition ein, sondern standen einfach nur da. Bereit.
»Wer seid Ihr?«, fragte der Mann mit dem Spitzbart auf Lateinisch.
»Wer seid Ihr? «,
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