Isenhart
tiefes Bedauern wegen des Umstands, dass Henning nicht hier sein konnte, um zu erleben, was er erlebte.
»Das ist das, was Ibn Al-Hariq und Sydal von Friedberg zu schaffen gedachten. Einen Fleck, an dem Gleichgesinnte sich unbehelligt treffen können. Es ist diesen Männern nicht einerlei, woher sie stammen, wer ihr König und ihr Gott ist, aber für die Zeit, die sie in der Puente verbringen, zählt all das nichts. Dies müssen sie abstreifen und vor den Toren lassen, so ist der Wille der Gründer.«
»Und einer von ihnen war mein Vater«, stellte Isenhart fest.
»So ist es«, bestätigte Baba.
»Was heißt eigentlich Puente? «, fragte Konrad.
»Es heißt Brücke.«
Sie gingen einige Schritte weiter.
»›Brücke‹ klingt schöner.«
Ibn Khamud saß in einem Meer aus Kissen, angehäuft in einem Winkel des Atriums, in das Baba sie geführt hatte. Der Schatten zweier Palmen überschnitt sich recht exakt an jenem Punkt, an dem der Vertraute Al-Hariqs wartete. Er war barfuß, trug ein langes weißes Gewand, und sein Schädel war kahl. Khamuds Augen hatten eine milchige Eintrübung erfahren, die Pupillen wanderten unentwegt, ohne Hast, aber ausdauernd.
»Zwei Gäste sind hier, die Euch zu sehen wünschen. Einer von ihnen nennt sich Isenhart. Er ist Sydals Sohn – jedenfalls sagt er das.«
Die Pupillen unterbrachen ihre Wanderung, ein abwartendes Lächeln zog über Ibn Khamuds Gesicht. Er mochte um die siebzig Jahre alt sein, ein knochiger Mann. »Wir werden sehen.«
Baba nickte, obwohl dem alten Mann diese Geste verborgen bleiben musste.
»I-sen-hart, wie ist der Name deines Begleiters?«, fragte Ibn Khamud.
»Mein Name ist Konrad. Konrad von Laurin«, entgegnete Konrad.
Khamud nickte. »I-sen-hart, spricht man das so?«
»Ja.«
»Setz dich zu mir, ich will dein Gesicht sehen.«
Isenhart sah zu Konrad hinüber, der wiederum ein Achselzucken andeutete. Dann ging er zu dem alten Mann und nahm im Schneidersitz vor ihm Platz. Ibn Khamud streckte die Hände aus, bis sie Isenharts Kinn erreichten. Seine Finger waren sanft und warm, frei von Hornhaut und Schwielen, nicht die eines Bauern. Vom Kinn tasteten sie sich behutsam fort. Über den Schwung der Lippen, hinauf zu den Wangenknochen, von dort zu den Augenhöhlen und dem Brauen.
Als sie seine Nasenlöcher passierten, nahm Isenhart den neuen Geruch wahr, dem er in Barcelona zum ersten Mal begegnet war. Der Blinde hatte seine Finger in Citrussaft gewaschen.
»Auf diese Art kann ich sehen«, erklärte Ibn Khamud ihm, »mein Herr ist vor zwei Jahren von uns gegangen. Am Ende hat er sich mehr um mich als um sich selbst gekümmert.«
Als er von seinem Herrn sprach, lag bedingungslose Hingabe in seinen Worten.
»Woher kommt Ihr?«, fragte Ibn Khamud und beendete das Ertasten von Isenharts Gesicht.
»Aus Spira«, sagte Isenhart.
»Ich bin nur ein Diener«, erwiderte der Blinde, um seinen Mangel an geografischen Kenntnissen zu erklären. »Ist das fern von hier?«
»Es liegt im Heiligen Römischen Reich«, wandte Konrad sich an ihn, der neben Isenhart Platz genommen hatte und die Kissen befühlte, »es ist gut 100 Tagesreisen entfernt.«
»Das ist weit«, stellte Ibn Khamud fest.
»Wofür legt man so viele Meilen zurück? Ihr seid Sydals Sohn, sagte Baba.«
»Das stimmt«, antwortete Isenhart.
»Und wer hat Euch das gesagt?«
»Ein Gelehrter.«
»Wie ist sein Name?«
»Walther von Ascisberg.«
»Wal-ther«, sagte Ibn Khamud, als müsse er diesen Namen erst wieder aus den Tiefen seines Gedächtnisses an die Oberfläche seines Bewusstseins befördern.
»Ihr kennt ihn?«, fragte Konrad verblüfft. Ihm war, als habe niemand vor ihnen diese beschwerliche Reise unternommen – und würde es auch lange Zeit niemand nach ihnen tun. Dass Walther von Ascisberg Toledo und die Puente bereits besucht hatte, schmälerte diesen Ruhm ein wenig.
»Er war hier?«, präzisierte Isenhart die Frage.
Ibn Khamud nickte: »Er kam her, um Euren Vater zu töten.«
Konrad merkte auf. Walther von Ascisberg war ihm stets als ein Anhängsel seines Vaters erschienen, in gewisser Weise spiegelten Isenhart und er, Konrad, sich in den beiden Männern. Von Ascisberg hatte ihnen all das vermittelt, was es jenseits der Theologie zu vermitteln gab. Und natürlich kursierte auch diese Geschichte von den vier Muselmanen, die er enthauptet hatte – zugegebenermaßen hatte Konrad diese Episode in Walthers Leben fasziniert –, doch hatte das bei genauerer Betrachtung wirklich wahr
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