Isenhart
Schultern.
»Das sind Kräuter aus Toledo, wer diesen kleinen Beutel bei sich trägt, der wird begehrt sein.«
Annas Augen hefteten sich umgehend auf den wundersamen Lederbeutel.
»Wir haben nur Münzen für Salz«, quäkte Sophia.
Bei Licht betrachtet waren ihre Züge grob, stellte Isenhart fest. Alexander von Westheim beachtete sie einfach nicht.
»Was wollt Ihr dafür haben?«, fragte Anna.
»Ein Lächeln.«
Sie schenkte dem Juden ein wunderschönes Lächeln, und Isenhart war überrascht über den kleinen Stich, den sie ihm damit versetzte.
Wenn Alexander vom Westheim seine Reiseberichte zum Besten gab, fand er in Konrad seinen treuesten Zuhörer. Konrad interessierte jede Begebenheit, die dem gerade 28-jährigen Mann widerfahren war. Dessen Vater, Magnus von Westheim, der den Leuten verdünnte und mit Zucker aufbereitete Kuhpisse als orientalisches Heilgetränk angedreht hatte, war im vergangenen Frühjahr bei Montpellier im Duell um eine Hure erschlagen worden. Böse Zungen behaupteten, er sei sternhagelvoll auf dem Kampfplatz erschienen.
Alexander jedenfalls hatte die Geschäfte des Vaters übernommen,und wie nur wenige in dieser Zeit hatte er die weite Reise über die Seidenstraße bis nach China gewagt. Er erzählte von heißen Wüsten und bitterkalten Gebirgspässen – wo er auch dem Stamm der Zweiköpfigen begegnet sei –, von fremden Bräuchen und Kleidern (Anna und Sophia waren ganz Ohr) und von den Kämpfen um sein Hab und sein Gut.
Von Westheim hatte für jeden die passende Neuigkeit parat.
Anna umkreiste ihn am Abend wie die Sonne die Erde.
Isenhart reinigte den Ofen und sah die beiden über den Burgfried zu dem Wagen des Händlers schlendern. Anna trug den Beutel um den Hals, und Isenhart fragte sich, was Alexander von Westheim so Komisches zu erzählen hatte, dass sie ihn in einem fort anlächelte.
Er konnte dieses Gefühl, als erwärme sich plötzlich sein Blut, noch nicht einordnen. Es war ein Vorgeschmack auf das Brennen der Eifersucht.
Etwas geschah mit Isenhart in diesen Wochen. Und nicht nur mit ihm.
Zwei kleine Wölbungen zeichneten sich unter Annas Kleid ab, die Isenhart in tiefe Verwirrung stürzten. Anna und Sophia waren Nervensägen, denn sie waren Mädchen. Aber immer öfter ertappte er sich dabei, Anna nicht mehr zuzuhören, wenn sie das Wort an ihn richtete, sondern ihr Antlitz zu studieren.
Ihren Mund, die hellen Zähne, das glatte blonde Haar, die stets leicht geröteten Wangen, ihre schmalen Finger und vor allem diese graublauen Augen. Jedes Gesetz verschmähend, das Isenhart kannte, wirkte all das und noch viel mehr auf unvorhersehbare Weise zusammen, potenzierte sich mit ihrer Art, sich zu bewegen, und addierte sich mit ihrem Lachen, das jeden Ernst dahinfegte, zu einer für Isenhart unermesslichen Summe, die mehr war als die Gesamtheit ihrer Teile. Es war ein Zauber, der sie umgab und ihn erfasste, der ihm zeit seines Lebens unerklärlich blieb und einzig aus diesem Mysterium seine Kostbarkeit bezog.
Waren ihm früher die Antworten auf Annas Fragen fast spielerisch von der Hand gegangen, kam er nun häufig ins Stottern. Und wenn er vorsichtshalber schwieg, kam Isenhart sich vor wie ein minderbegabter Idiot. Um von Walther von Ascisberg zu hören,dass man dieses – »minderbegabter Idiot« – in der Rhetorik einen Pleonasmus nennt, ebenso wie einen »schwarzen Raben«.
Isenhart nickte zwar, aber er fragte sich, ob an diesem Lederbeutel wirklich etwas dran war.
Anna warf ihn nach einer Woche weg, weil er zu stinken begonnen hatte. An dem Beutel lag es also nicht.
Nur drei Tage später begann Saladin mit der Belagerung Jerusalems, das unter dem Befehl von Balian von Ibelin verteidigt wurde. Die aussichtslose Situation der Christen führte am 2. Oktober 1187 zur Übergabe Jerusalems an Saladin.
Die Burg Laurin erreichte die Nachricht im darauffolgenden Jahr.
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6.
Anno Domini 1188
ott hat uns alle mit den vier Lebenssäften ausgestattet«, sagte Hieronymus. Er stand vor dem kleinen Altar, den er zum Ruhme Jesu für den Holzspan in der Kapelle errichtet hatte.
»Walther von Ascisberg hat uns schon …«, begann Isenhart.
»Walther von Ascisberg«, unterbrach ihn Hieronymus barsch, »tut hier nichts zur Sache.«
Konrad und Isenhart wagten nicht zu widersprechen.
Vater Hieronymus argwöhnte, sie könnten größeren Gefallen an den Lehrstunden bei von Ascisberg finden. Der hatte ihnen bereits von den vier Lebenssäften erzählt. Es handelte sich
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