Isenhart
Lehrmeister noch nicht gefunden hatte, schien ihm unmöglich. Aber er wollte sich bemühen, und das war – gemessen an ihrer lebenstauglichen Bedeutung – in Walthers Augen die zweite Eigenschaft, die Isenhart auszeichnete: seine Leidenschaft.
Isenhart warf einen Blick nach draußen, hinab in den Burghof. Er entdeckte Anna. Sie war dreizehn, trug einen einfachen Umhang und die Haare schulterlang. Blondes Haar, das in der Septembersonne glitzerte. Sie blickte sich um und gewährte ihm unbewusst einen freien Blick auf ihren schmalen Nacken.
»Glotzt du meiner Schwester nach?«
»So ein Blödsinn«, beeilte Isenhart sich zu sagen.
Das Öffnen der Burgtore kam wie eine Erlösung über ihn. Von Ascisberg blickte nun auch hinab, und Konrad stellte sich an die Maueröffnung, durch die im Winter der Wind pfiff. »Alexander von Westheim«, sagte er.
In einem Abstand von vier bis sechs Monaten stattete der fahrende Händler ihnen einen Besuch ab. Diesen zu verpassen wäre undenkbar gewesen. Isenhart und Konrad warfen ihrem Lehrer einen fragenden Blick zu. Und der nickte.
Die beiden Jungs stürmten hinaus.
Immer, wenn Alexander von Westheim auftauchte, verwarf Konrad auf der Stelle seine Leidenschaft für Schlachten, berühmte Krieger und die mannigfaltigen Möglichkeiten, Gegner vom Leben zum Tode zu befördern – nicht zu vergessen all die Instrumente, die einem dabei zur Verfügung standen.
Konrad und Isenhart wuchsen im Umkreis der Burg Laurin auf, die weiteste Reise, die Isenhart je unternommen hatte, war jene mit Walther von Ascisberg zum Wasserrad. Konrad war ihm natürlich auch in dieser Hinsicht überlegen, denn er kannte die freie Reichsstadt Spira, die gut und gerne sieben Tage zu Pferd entfernt lag. Doch auch für Konrad von Laurin endete hier die bekannte Welt.
Alles, was dahinter kam, übte den Reiz des Unbekannten auf sie aus. Malten sie sich aus, was sie auf einer Reise dorthin wohl erwartete, hielten sich Begeisterung und wohlige Schauer die Waage.
Sigimund von Laurin und Walther von Ascisberg waren auf dem Kreuzzug ins Heilige Land gewesen. Die Jungs hatten keinerlei Vorstellung davon, welch unermessliche Strapazen sie dafür in Kauf genommen hatten. Sprach man einen von ihnen darauf an, hüllten sie sich in Schweigen oder antworteten ausweichend. Ganz offensichtlich waren sie bemüht, diesen Teil ihres Lebens der Vergessenheit zu überantworten. Es konnte nicht sonderlich erfreulich gewesen sein, schloss Isenhart.
»Die Welt ist dort genauso wie hier, nur eben anders.« Zu mehr als dieser lakonischen Auskunft hatte Walther von Ascisberg sich nicht hinreißen lassen.
Fahrende Händler waren daher für Konrad und Isenhart das Nonplusultra, denn sie waren das Tor zur Welt.
»Ich habe Salz aus Salzburg«, rief Alexander von Westheim und deutete auf ein kleines Fass. Er stand auf seinem Wagen, die Plane aus behandeltem Leder gerafft, und pries seine Ware an. Ein Dutzend Menschen aus dem Gesinde hatte sich versammelt, Konrad und Isenhart wohnten dem Schauspiel bei, das für alle eine willkommene Abwechslung darstellte.
»Tuch aus Flandern, der erlesenste Stoff im ganzen Reich«, rief von Westheim, »fühlt selbst.«
Er hielt ihnen seinen Arm hin, drei Frauen ließen den Ärmel durch ihre Finger gleiten. Natürlich war er gelblich gefärbt, Alexander von Westheim war Jude.
»Was kosten fünf auf zwei Ellen?«, fragte eine der Frauen.
»Drei Pfennige«, erwiderte von Westheim.
Die Frauen ließen seinen Ärmel sofort los. »Drei Pfennige«, wiederholte eine von ihnen mit fassungsloser Stimme.
»Ihr wuchert«, stellte die zweite Frau fest.
Alexander von Westheim ging mit einem Lächeln darüber hinweg: »Tapfere Männer haben beste englische Wolle an Piraten und Seeungeheuern vorbei durch Regen und Sturm nach Brügge verschifft. Die besten Tuchmacher des Abendlands haben all ihr Können darauf verwandt. Und mich hat es drei Monate gekostet, es zu Euch zu bringen. In Mulenbrunnen habe ich es für vier Pfennige verkauft, man hat es mir aus den Händen gerissen, aber«, er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, »dem Haus Laurin fühle ich mich am meisten verbunden. Ich biete es fast zu dem Preis an, zu dem ich es selbst erworben habe.«
Isenhart nahm deutlich wahr, wie zwei der Frauen wankelmütig wurden. Ida, seine Mutter, war wie die meisten anderen Frauen neben schönen Tüchern an Salz interessiert, um Fisch und Fleisch darin einzulegen.
Chlodio, dessen Kopfhaut langsam durch seine Haare
Weitere Kostenlose Bücher